Krebsbetroffene müssen sich mit ihrem eigenen Tod auseinandersetzen
Für alle
Patientenkompetenz

Abschied und Trauer – Auseinander­setzung mit dem eigenen Tod

Expertin für Abschied und Trauer bei Krebs und terminaper Krebsdiagnose

PD Dr. phil. Corinne Urech
Leitende Psychologin
Frauenklinik Universitätsspital Basel

Sich einzugestehen, dass Sterben und Abschiednehmen näher rücken, ist sehr schmerzhaft. Es ist jedoch auch ein erster Schritt, um sich auf den bevorstehenden Tod einstellen zu können. PD Dr. Corinne Urech zeigt die Bedeutung und Möglichkeiten auf, die in der letzten Phase des Lebens liegen.

Die harte Wahrheit

Zu erfahren, dass man unheilbar krank ist, löst viele Emotionen aus. Betroffene durchlaufen in einem ersten Moment eine Vielzahl von schwierigen Gefühlen: «Wut, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Trauer, Angst vor der Zukunft und Überforderung gehören zu den häufigsten Empfindungen», so PD Dr. Corinne Urech, leitende Psychoonkologin an der Frauenklinik des Universitätsspitals Basel. Corinne Urech hat sich vertieft mit der Thematik der Trauer auseinandergesetzt.

«Jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf eine solch schwierige Diagnose. Manche erstarren förmlich, während andere ihre Emotionen in Tränen ausdrücken. In einem ersten Schockmoment haben die Betroffenen das Gefühl, der Boden werde ihnen unter den Füssen weggezogen. Sobald sie mehr über die Krankheit erfahren haben und wissen, wie es weitergehen soll, verlangsamt sich das Gedankenkarussell allmählich», weiss die Expertin.

 

Trauer zulassen

Die Reaktion auf die Diagnose hängt laut Urech auch stark von der individuellen Lebenssituation ab: Wie alt man ist, ob man Kinder hat und ob man im Berufsleben steht, beeinflussen die Gefühle ebenfalls. Die Emotionen haben jedoch bei den meisten einen ähnlichen Grundton:

«Allen voran besteht eine grosse Trauer. Für den Umgang damit gibt es leider kein Patentrezept»

PD Dr. Corinne Urech

Wichtig sei es, nicht dagegen anzukämpfen: «Ich vergleiche es mit einem roten Ball, den man unter Wasser drückt. Solange man konzentriert ist, bleibt er unten. Doch wenn man nur kurz abgelenkt ist, springt er einem ins Gesicht. Wenn man die Trauer ständig wegdrängt, kommt sie in einem unerwarteten Moment hoch, was überwältigend sein kann.» Entscheidend ist es, Wege zu finden, um die Trauer herauszulassen. Gemäss der Psychoonkologin gibt es Orte, an denen das Trauern besser gelingt. Zum Beispiel im Auto, wo man ungestört weinen kann. Die Natur ist auch ein solcher Ort. Man sollte sich bewusst Zeit nehmen, um der Trauer angemessen Raum zu geben und herauszufinden, woher sie rührt.

 

Angst, Wut und Schuldgefühle

Neben der Trauer dominiert auch die Angst. «Die Angst vor dem Sterben und vor dem Sterbeprozess – auch vor möglichen Schmerzen – steht oft im Vordergrund. Auch die Angst davor, was man hinterlässt. Angst und Trauer sind eng miteinander verwoben», erklärt Urech. Häufig gesellt sich auch Wut dazu: «Ein Ungerechtigkeitsgefühl, weshalb es gerade einen selbst getroffen hat, kann Wut auslösen. Wut überdeckt dabei nicht selten eine andere Emotion. Sie ist einfacher auszuhalten, als das, was sich dahinter verbirgt», so Urech. Auch Schuldgefühle gegenüber Angehörigen kommen vor. Betroffene haben das Gefühl, sie im Stich zu lassen, etwas falsch gemacht oder die Krankheit zu spät erkannt zu haben.

Krebsbetroffene müssen Abschied nehmen am Ende des Lebens bei terminaper Krebsdiagnose

Wissenschaftlicher Blick auf den Tod

Wenn sich jemand dem Tod nähert, durchläuft er eine ganze Bandbreite an Emotionen. Die Schweizer Psychiaterin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler- Ross teilte diese in fünf Sterbephasen ein: das Nichtwahrhabenwollen, eine Wutphase, eine Handlungsphase gegen das Sterben sowie eine depressive Phase gefolgt von der Akzeptanz. Heute gilt dieses Konzept als überholt und man weiss, dass in einem Trauerprozess nicht all die beschriebenen Phasen bei allen erlebt werden. Es handelt sich eher um ein dynamisches Prozessgeschehen, indem die Inhalte der einzelnen Phasen mal mehr mal weniger in den Vordergrund rücken. «Es ist mehr ein Prozess in Richtung Akzeptanz», so Urech. Sie selbst findet das Double-Awareness-Konzept besonders interessant: «Es beschreibt das gleichzeitige Erleben von Leben und Tod, wie das Fahren auf zwei Schienen, die Balance zwischen zwei Zuständen, wobei man sich sowohl mit dem Sterben als auch mit dem Leben befasst.» Sich auch im Sterbeprozess dem Leben zuzuwenden, das ist für sie eine wichtige Botschaft: «Sich zu fragen, was einem im Hier und Jetzt wichtig ist, was einem guttut und dies auch zu tun.»

 

Hilfsangebote annehmen

Der Abschied ist ein schmerzhafter Prozess. Umso wichtiger ist in dieser Zeit laut Dr. Urech die Nähe zu den Liebsten. Aber auch, dass man die emotionalen, seelsorgerischen und organisatorischen Unterstützungsmöglichkeiten auslotet und die eigenen Bedürfnisse kommuniziert. Etwa zum Ort, an dem man sterben möchte, wenn auch nicht immer alle Wünsche erfüllt werden können. «Eine Patientenverfügung, die die medizinischen Behandlungsaspekte regelt, sowie ein Vorsorgeauftrag und Beisetzungswünsche sind ebenfalls sehr empfehlenswert. Hierzu existieren unterstützende Organisationen wie etwa die Krebsliga, die helfen können», so Urech.

«Man darf in schwierigen Momenten auch mal lachen.»

PD Dr. Corinne Urech

Positive Gefühle zulassen

Der Sterbeprozess kann neben dem Traurigen, Schmerzhaften und Schlimmen auch viel Schönes und Positives beinhalten. Es gibt durchaus auch positive Emotionen, denen man laut PD Dr. Urech Platz einräumen sollte: «Man darf in schwierigen Momenten auch mal lachen.» Viele Patient*innen bringen eine Portion schwarzen Humor mit. Am wichtigsten ist für Urech aber die Hoffnung. Nicht nur die Hoffnung auf Heilung, sondern auch auf Lebensverlängerung, auf eine gute verbleibende Lebenszeit oder auf wenig Schmerzen. Ein Ziel zu haben, einen Weg zu finden und die Willenskraft dafür aufzubringen – das sind wichtige Pfeiler der Hoffnung. Denn wenn Hoffnung besteht, kann man aktiv werden. Sodass man das, worauf man hofft, im besten Fall realisieren kann.»

Catherina Bernaschina
Datum: 11.04.2024