Angehörige von Lungenkrebsbetroffenen haben grosser Herausforderungen
Lungenkrebs
Erfahrungsbericht

«Ich hätte mir mehr konkrete Hilfe gewünscht»

Nach dem Tod ihres Papas übernimmt Adelina die gesamte Verantwortung für ihre Familie. Hilfe hat sie kaum. Darum zu bitten, bringt sie nicht übers Herz. Heute sagt sie: «Ohne Hilfe kommt man nicht durch eine so schwierige Situation. Ich wäre fast daran zerbrochen.»

Adelinas  Geschichte

 

Adelina ist eine taffe junge Frau – zupackend, belastbar und stets auf das Positive fokussiert. Was sie allerdings nach der Lungenkrebsdiagnose ihres Vaters erlebt hat, hat sie an ihre Grenzen gebracht.

Adelina teilt denn auch ihr Leben in ein Davor, also vor der Diagnose, und in ein Danach ein. Davor, so erinnert sie sich, sei ihr Leben leicht und unbeschwert gewesen. Der Zusammenhalt der Familie war eng. Ihr Papa, gebürtiger Kosovare, war erfolgreich im Beruf und hatte seiner Familie ein privilegiertes Leben ermöglicht. «Mein Papa hatte alles im Griff, wir konnten uns voll auf ihn verlassen – auch in finanzieller Hinsicht. Einsicht in seine Administration hatten wir allerdings nicht», erzählt Adelina. Und genau das sollte ihnen später zum Verhängnis werden.

Erfahrung einer Angehörigen von Krebs

Adelina musste eine enorm schwere Zeit durchstehen.

Dass die Wunden, auch zehn Jahre nach dem Tod ihres Vaters nicht ganz verheilt sind, spürt man im Gespräch mit Adelina. «Unsere ‹perfekte› Familien-Welt ist im Moment von Papas Tod zusammengebrochen», sagt sie. Die zweijährige Krankheitszeit ihres Vaters sei emotional schon sehr anspruchsvoll gewesen – was aber danach kam, sei einfach nur Horror gewesen. «Ich war damals 21 Jahre alt, die älteste von vier Geschwistern, und hatte plötzlich einen riesigen Berg Verantwortung zu tragen», so Adelina.

 

«Wir standen ohne Geld da»

Es war eine Tsunami-Welle, die auf sie zurollte: mit Bergen von Bürokratie, mit einer Beerdigung, die sie im Kosovo organisieren musste und mit Konten, die gesperrt wurden. Denn, sämtliche Bankkonten liefen auf den Namen ihres Vaters und diese wurden unmittelbar nach dessen Tod blockiert. «Wir standen ohne Geld da und wussten nicht, wie wir Essen kaufen oder Rechnungen bezahlen sollen», erinnert sich Adelina.

«Ich habe getan, was von mir erwartet wurde, war emotional wie ‘abgekapselt’ und bin über mich hinausgewachsen.»

Adelina

Hilfe naht

Adelina kämpfte sich allein durch den administrativen Dschungel, kümmerte sich um ihre trauernden Geschwister und begann sogar noch mit einem Studium. «Ich wollte allen beweisen, dass ich es schaffe und ich wollte, dass mein Papa stolz auf mich wäre», sagt Adelina mit stockender Stimme. Sie sei eigentlich ein sehr rationaler Mensch und wollte das auch so anpacken. «Ich habe getan, was von mir erwartet wurde, war emotional wie ‘abgekapselt’ und bin über mich hinausgewachsen.» Sie hätte damals Hilfe und Unterstützung dringend nötig gehabt – aber da war niemand. «Ich hätte mir gewünscht, dass ich mehr konkrete Hilfe bekommen hätte. Darum zu Bitten fiel mir so schwer».

Ein Schlüsselmoment war für Adelina dann der Anruf der Krebsliga. Just in dem Moment, als sie sich verzweifelt durch die Akten arbeitete und den Überblick allmählich verlor, rief eine Mitarbeiterin der Krebsliga an und fragte, ob die Familie Hilfe benötige. Endlich habe sie sich verstanden gefühlt und die dringend notwendige Unterstützung erhalten.

Angehörige von Lungenkrebs

Adelina hat gelernt, auch auf sich selbst zu schauen.

Die Trauer kam mit voller Wucht

Nun, da Adelina endlich geholfen wurde, begann der schmerzhafte Trauerprozess – zwei Jahre nach dem Tod ihres Vaters. «Meine Gefühle hatte ich bis dahin zur Seite geschoben und nun wurde ich von einer unendlich schweren Trauer erfasst», so Adelina. Sie gab ihr Studium auf, war oft wie gelähmt und wurde von Zukunftsängsten geplagt.

«Ich musste lernen, Gefühle zuzulassen, Schwäche zu zeigen und mich mit dem Trauerprozess auseinanderzusetzen. Aber das hat viele Jahre gedauert». Sie habe sich in dieser Zeit stark mit ihrer eigenen Persönlichkeit beschäftigt und ausprobiert, womit sie ihre Resilienz stärken kann. Geholfen habe ihr zum Beispiel die Arbeit mit positiven Affirmationen.

Rückblickend seien die zehn vergangenen Jahre zwar extrem hart gewesen, zugleich aber eine wertvolle Lebensschule. «Indem ich durch diese ganze Hölle gegangen bin, habe ich auch zu mir gefunden. Und ich durfte erfahren, dass nach jedem noch so tiefen Tal wieder ein Hoch kommt», so Adelina.

Adelinas Tipp:

Nehmt Hilfe an, und zwar frühzeitig! Ich war mit der Situation überfordert und habe viel zu lange gedacht, dass ich alles allein schaffen muss. Ein Fehler. Freunde und Angehörige möchte ich ermutigen, den Betroffenen direkte Hilfe anzubieten. Zum Beispiel ein Essen vorbeizubringen oder bei der Kinderbetreuung oder administrativen Aufgaben zu helfen. Um Hilfe zu bitten, hat mich zu viel Überwindung gekostet.

Anna Birekenmeier
Datum: 26.10.2023