Blasenkrebs Erfahrungsbericht Patient Jürg
Urologischer Krebs
Erfahrungsbericht

Blasen­krebs – Sich infor­mieren und nach­fragen lohnt sich

Vor dreieinhalb Jahren wurde bei Jürg ein Urothelkarzinom – eine Krebserkrankung in der Blasenschleimhaut – im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Seine Geschichte zeigt, wie wichtig die Einbindung von Patient*innen in Entscheidungen während der Krebstherapie ist.

Jürg (59) ist ein Familienmensch. Seine Frau, seine zwei erwachsenen Töchter und seine Enkelin sind seine Kraftquellen. Aber auch im Garten oder auf Spaziergängen mit seinem Hund findet er Freude und Ausgleich. Als er im Jahr 2019 Probleme beim Wasserlassen hat, diagnostiziert ein erfahrener Urologe eine chronische Prostataentzündung. Doch als Rückenbeschwerden und Gewichtsverlust hinzukommen, wird klar, dass es sich um ein ernsteres Problem handeln musste. «Erst nachdem im Herbst 2020 sichtbares Blut in meinem Urin auftrat, wurde meine Blase untersucht. Leider wurde dabei ein Urothelkarzinom im fortgeschrittenen, metastasierten Stadium festgestellt», so Jürg. Es folgen viele Behandlungen – Operation, Chemotherapie, Bestrahlung und Immuntherapie – mit unterschiedlichem Erfolg. Viele Therapien zeigen nur kurzfristige Wirkung und nach kurzer Zeit treten wieder Metastasen auf. Die Hoffnung schwindet und Jürg beginnt, sich intensiv mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Doch dann schlägt ihm sein Onkologe ein neues Medikament vor, das eben erst in der Schweiz zugelassen wurde. Nachdem anfänglich keine Wirkung einzutreten scheint, sehen die Bilder nach drei Monaten plötzlich sehr gut aus. Dank der Therapie ist Jürgs aktuelle Situation bis jetzt stabil. Wegen Knochenproblemen im Beckenbereich und in der Wirbelsäule sowie aufgrund seiner begrenzten Energiereserven muss er heute ein ruhigeres Leben führen und arbeitet Teilzeit. Was bleibt, ist – neben der ständigen Angst, dass die Krankheit wieder ausbricht – das Gefühl, dass er seine Bedenken bei der anfänglichen Diagnose früher hätte ansprechen sollen – gerade, weil er selbst Arzt ist.

 

Das Ärzte-Patienten-Verhältnis ist die halbe Miete

Jedes Arzt-Patienten-Verhältnis ist anders. Jürg ist mit seinem sehr zufrieden: «Ein ideales Szenario umfasst sowohl zwischenmenschlichen Austausch als auch sachliche Information. Ich schätze es, dass mein Arzt einfühlsam ist und meine Ängste ernst nimmt, während er gleichzeitig fachlich kompetent ist und transparent kommuniziert.» Nicht alle Patient*innen haben dieses Glück. Gerade in der Onkologie, sagt Jürg, ist eine sensible und versichernde Kommunikation von entscheidender Bedeutung. Generell in der Medizin hapert es aber manchmal noch, weil sich viele Ärzt*innen in der Ausbildung mehr auf die Chirurgie und innere Medizin konzentrieren und die Vorlesungen in psychosozialer Medizin auf die leichte Schulter nehmen. «Gute Onkolog*innen sollten in der Lage sein, ihre Patient*innen emotional abzuholen und zu unterstützen, indem sie ihre Bedürfnisse erkennen und darauf eingehen», betont Jürg.

Blasenkrebs Erfahrungsbericht Patient Jürg

Jürg setzt sich aktiv mit seiner Erkrankung auseinander.

Sich informieren und nachfragen lohnt sich

Jürg vertraut trotz früherer Fehldiagnosen weiterhin den Ärzten. Er betont jedoch die Bedeutung, proaktiv zu handeln: «Es lohnt sich, auf seinen Körper und seine Ängste zu hören. Eine Diagnose kann falsch sein. Man sollte kritisch sein und Fragen stellen.» Obwohl er im Kantonsspital Luzern ausgezeichnet betreut wird, informiert er sich kontinuierlich über seine Erkrankung und neue Therapiemöglichkeiten. Er liest Zeitungen, Fachzeitschriften und recherchiert auf wissenschaftlichen Internetseiten oder bei Gesundheitsbehörden. «Wenn man informiert ist, kann man das Arztgespräch fokussierter führen. Die Zeit ist bei einer Konsultation begrenzt und man möchte ja die wirklich wichtigen Fragen stellen. Zum Beispiel zum Umgang mit Nebenwirkungen zur Verbesserung der Lebensqualität, oder zur Erkundung neuer Therapiemöglichkeiten. Studienergebnisse müssen immer in die individuelle Anwendung beim Patienten übersetzt werden.»

 

Vorbereitung vor dem Gespräch

Um sich auf das Arztgespräch vorzubereiten, greift Jürg auf ein einfaches Hilfsmittel zurück: «Ich mache Notizen auf meinem Handy. Und zwar notiere ich mir kurz Fragen, Beschwerden und benötigte Rezepte. Das gibt mir die Sicherheit, nichts Wichtiges zu vergessen.» Bei medizinischen Entscheidungen streben Arzt und Patient nach einem Konsens: «Ich stelle meinem Arzt eine Frage, er erklärt die Situation, zum Beispiel in Bezug auf die Wirksamkeit einer Therapie. Dann diskutieren wir das Thema, ich stelle meine weiteren Fragen und schliesslich versuchen wir, basierend auf meiner spezifischen Situation, eine Entscheidung zu treffen.» Jürg rät, sich bei grösseren Entscheidungen auch die nötige Zeit herauszunehmen. Es muss nicht immer sofort sein. «Eine Entscheidung stellt sich meiner Erfahrung nach im ganzen Körper ein. Das Bauchgefühl spielt eine wichtige Rolle. Eine Entscheidung ist wie eine Frucht, die reif ist und man nur noch pflücken muss. Irgendwann weiss man es einfach», so Jürg.

 

Weniger Angst dank Aufklärung

Informiert zu sein, hilft nicht nur bei der Entscheidungsfindung, sondern ist auch ein wichtiges Instrument gegen die Angst. «Die Angst vor dem Wiederauftreten der Metastasen ist bei mir immer präsent. Sich zu informieren und aktiv mit der Krankheit auseinanderzusetzen, hilft mir, diesen Ängsten entgegenzuwirken», weiss Jürg heute. «Gegen die Angst vor dem Sterben ist aber kein Kraut gewachsen. Wenn sie mich überfällt, muss ich sie aushalten und warten. Sie geht zum Glück wieder vorbei.»

 

Die Rolle des Pflegepersonals und der Betroffenen selbst

Als Onkologiepatient*in hat man es nicht nur mit Ärzt*innen, sondern mit einem umfassenden Behandlungsteam zu tun, das aus Pflegefachkräften und anderen Fachpersonen besteht. Dieses Team spielt eine wichtige Rolle, da es eine enge psychische und emotionale Verbindung zu den Betroffenen hat. «Neben der Chemotherapie ist dies zum Beispiel auch in der Radioonkologie wichtig. Wo Patient*innen körperlich stark ausgesetzt sind, ist eine einfühlsame Behandlung und Kommunikation entscheidend», erklärt Jürg. Anderen Betroffenen möchte er Mut zusprechen, nicht aufzugeben und die Lebensfreude zu bewahren: «Schwere Belastungen können bewältigt werden, und die Krankheit kann unerwartete Verläufe nehmen. Es gibt immer Phasen, in denen es besser wird. Für mich ist es entscheidend, die geschenkte Zeit optimal zu nutzen», so Jürg. «Auch wenn das Bewusstsein immer da ist, dass die Krankheit am Ende vielleicht doch siegen wird.» Wichtig findet er auch, sich selbst keine Vorwürfe zu machen und offen über die Krankheit zu kommunizieren: «Transparenz hat mir bei der Bewältigung der Krankheit geholfen», sagt er abschliessend.

Tipps für Patient-Empowerment und Patientenkompetenz

Drei Fragen an Dr. med. Katharina Hoppe, Oberärztin Klinik für Medizinische Onkologie, Stadtspital Triemli, Zürich

Dr. Hoppe, was sind gute Fragen, die Betroffene eines Urothelkarzinoms stellen können?

Ich ermutige meine Patient*innen dazu, immer alles zu fragen, was sie interessiert. Fragen nach der Therapiedauer und eventuellen Nebenwirkungen sind wichtig. Aber auch nach der Erholungszeit und was man selbst tun kann, damit es einem schnell wieder besser geht.

Welche Fragen ausserhalb der Medizin sollen Betroffene stellen?

Fragen nach den verschiedenen Unterstützungsangeboten, die es gibt. Diese reichen vom Sozialdienst über Fahrdienste, die Spitex bis zur Psychoonkologie. Ich weise meine Patient*innen auch immer auf die Möglichkeit hin, eine Zweitmeinung einzuholen.

Was hilft Patient*innen bei der Entscheidungsfindung?

Offene Kommunikation und Informationsunterstützung sind wichtig. Patient*innen sollen alle Informationsmaterialien erhalten, die sie brauchen, um ihre Entscheidungen zu treffen. Sie sollen nicht nur erfahren, was es für aktive Therapieoptionen gibt, sondern auch, was passiert, wenn sie nichts machen. Auch sollen sie sich die nötige Zeit für ihre Therapiewahl lassen.

CH-NONO-00033 03/2024

Journalistin: Catherina Bernaschina
Datum: 09.04.2024