Depression und Krebs
Für alle
Nebenwirkungen

Wenn aus einem Stimmungs­tief eine Depression wird

Depression bei Krebs Expertin Claudia Matter

Claudia Matter
Leiterin Psychoonkologie Kantonsspital Baden
Eidg. Anerkannte Psychotherapeutin Psychoonkologin SGPO

Dass es bei einer Krebserkrankung zu Stimmungstiefs kommt, ist normal. Manchmal entwickelt sich daraus allerdings eine Depression und dann heisst es: je früher erkannt, desto besser behandelbar! Im Interview erklärt die Psychoonkologin Claudia Matter, welche ‹red flags›, auf eine Depression hindeuten können.

Dass eine Krebserkrankung Niedergeschlagenheit, Ängste und Traurigkeit mit sich bringt, ist doch normal, oder nicht?

Claudia Matter: Stimmungstiefs sind für eine gewisse Zeit normal und gehören ein stückweit zur Auseinandersetzung mit der Krankheit dazu. Oftmals tendieren Krebsbetroffene jedoch dazu, ihre anhaltende Niedergeschlagenheit hinzunehmen und sich damit zu arrangieren. Sie führen ihre Beschwerden auf die Erkrankung zurück und wissen nicht, wie sie diese einordnen sollen. Vielen Menschen fällt es schwer über ihr psychisches Befinden zu sprechen. Jedoch spielt die Psyche eine wichtige Rolle und es sollte ihr eine grössere Bedeutung beigemessen werden. Hält das Tief länger als zwei Wochen an, rate ich, sich Hilfe zu suchen.

 

Was unterscheidet eine Depression von einem Stimmungstief?

Matter: Fast jeder Mensch kennt Phasen der Niedergeschlagenheit. Wenn dieser Zustand nun zwei Wochen oder länger anhält, könnte die Ursache eine Depression sein. Abhängig von der Anzahl und Schwere der Symptome wird in leichte, mittelgradige oder schwere Depression unterschieden.

 

Welche Symptome können auf eine Depression hindeuten?

Matter: Die Hauptsymptome sind gedrückte Stimmung, Interessenverlust oder Freudlosigkeit sowie Antriebsmangel und Ermüdbarkeit. Daneben gibt es weitere Symptome wie verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, reduziertes oder beeinträchtigtes Selbstwertgefühl, Gefühl von Schuld und Wertlosigkeit, übertriebene Zukunftsängste, Suizidgedanken, Schlafstörungen oder verminderter Appetit.

 

Fatigue, Schlafstörungen oder Appetitlosigkeit sind sowohl Symptome einer Depression als auch Nebenwirkungen von Krebstherapien. Wie erkennt man den Unterschied?

Matter: Es ist nicht immer einfach zu differenzieren, da hier eine grosse Schnittfläche besteht. Sowohl Fatigue wie auch Depressionen werden häufig spät oder gar nicht diagnostiziert und es herrscht die Meinung vor ‹dass das schon wieder kommt und einfach Zeit braucht›. So einfach ist es häufig nicht.

 

Wie viele Personen leiden während oder nach einer Krebserkrankung unter einer Depression?

Matter: Schätzungsweise ein Drittel der Patient*innen ist davon betroffen. Mehrheitlich im Bereich der leichten Depression.

Wenn es einem nicht gut geht, wenn man sich traurig und antriebslos fühlt, sollte man sich mit dem Behandlungsteam in Kontakt setzen und Hilfe durch Fachpersonen in Anspruch nehmen.

Claudia Matter

Wodurch kann eine Depression bei einer Krebserkrankung verursacht werden?

Matter: Es gibt viele verschiedene Komponenten, die mitspielen: Das ist einerseits die immense Belastungssituation, ausgelöst etwa durch Ungewissheit, Hilflosigkeit, Sorgen, Ängste oder belastende Nebenwirkungen der Therapien. Andererseits wird aber auch die gesamte Lebensstruktur auf den Kopf gestellt. Arbeit und Hobbys können beispielsweise nicht mehr ausgeübt werden, wodurch oft die Tagesstruktur wegfällt. Auch im sozialen Umfeld kann es zu Veränderungen kommen.

 

Was können Betroffene selbst tun, wenn sie merken, dass sie Anzeichen einer Depression haben?

Matter: Ehrlich mit sich selber sein! Wenn es einem nicht gut geht, wenn man sich traurig und antriebslos fühlt, sollte man sich mit dem Behandlungsteam in Kontakt setzen und Hilfe durch Fachpersonen in Anspruch nehmen. Anhand meiner Erfahrungen zeigt sich, dass der Austausch mit einer neutralen Person entlastend sein kann. Denn oftmals wollen die Betroffenen die Angehörigen nicht zusätzlich belasten.

 

Was können die Betroffenen selbst tun, um nicht in eine Depression zu fallen?

Matter: Bewegung ist ein wichtiger Faktor, dazu reicht schon ein kurzer Spaziergang. Ebenso hilft es, die eigenen vier Wände regelmässig zu verlassen, Leute zu treffen und sich eine Tagesstruktur zu schaffen. Manche Patient*innen erstellen dazu einen Stundenplan, nach dem sie sich richten. Zudem sollte man versuchen, mehr im hier und jetzt zu leben und sich die Frage zu stellen: «Was ist mir im jetzigen Moment wichtig?» Und nicht zuletzt spielt auch die Stärkung der Autonomie eine wichtige Rolle.

 

Die Therapien sind abgeschlossen und oft geraten die Betroffenen erst dann in eine schwierige Phase. Weshalb?

Matter: Die Verarbeitung einer Krebserkrankung beginnt oft mit dem Abschluss der Therapien. Während der Behandlung haben die Betroffenen meist gar keine Zeit. Sie haben sich mit einer neuen Situation auseinanderzusetzen und sehen sich mit diversen Terminen konfrontiert. Nach Abschluss der Therapien werden auch die Kontrolltermine weniger, was die Sicherheit mindern kann. Auch verläuft die Rückkehr in den Alltag häufig anders als erwartet.

 

Wie wird eine Depression bei Krebspatient*innen behandelt?

Matter: Bei einer leichten Depression steht die Aktivierung der eigenen Ressourcen im Vordergrund. Besonders hilfreich ist Bewegung, Sport und Aktivi-tät. Unterstützung kann auch eine Psychotherapie bieten. Bei einer mittelgradigen und bei einer schweren Depression kann eine Kombination von Psychotherapie und Medikation (pflanzlich und/oder chemisch) sinnvoll sein. Die Medikamente müssen allerdings auf die Krebsbehandlung abgestimmt werden, weshalb der interdisziplinäre Austausch im Behandlungsteam zentral ist.

Manchmal kann auch ein stationärer Aufenthalt sinnvoll sein: Hier finden die Patient*innen Zeit für sich, können zur Ruhe kommen und sich mit «Gleichgesinnten» austauschen.

Journalistin: Anna Birkenmeier
Datum: 23.10.2023