Eine Krebsdiagnose ist mit vielen Entscheidungen verbunden
Eine Krebsdiagnose wirft das Leben aus der Bahn und zwingt Betroffene, eine Vielzahl schwieriger Entscheidungen zu treffen. Diese betreffen sowohl das persönliche Umfeld wie Familie und Beruf als auch die Wahl der Therapieform. Auch die Teilnahme an einer klinischen Studie ist eine grosse Entscheidung. Wir haben bei einem Onkologen sowie bei Direktbetroffenen nach Antworten gesucht.
Die Entscheidungen bei Krebs
Prof. Passweg, Onkologe am Unispital Basel, hat mit über 40 Jahren Arbeitserfahrung als Arzt unzählige Entscheidungen mit seinen Patient*innen durchgemacht. Die vielen Patient*innengeschichten haben ihm gezeigt: «Entscheidungen sind eine sehr individuelle Angelegenheit. Denn jede Person befindet sich in einer anderen Ausgangslage. Daher gibt es kein Richtig oder Falsch. Wichtig ist, dass Betroffene frei entscheiden können.» Passweg fügt hinzu, dass die wichtigste Entscheidung die Wahl der Therapie ist und wo man sich behandeln lassen möchte. Es gibt auch Situationen, in denen Patient*innen entscheiden, keine Behandlung zu beginnen. Andere wiederum müssen über lebensverlängernde Massnahmen und die Balance zwischen Lebensqualität und Therapieeffizienz entscheiden.
Majas Erfahrungen mit Therapieentscheidungen
Maja ( 40), Mutter von zwei Kindern, sah sich gleich mit mehreren schwierigen Entscheidungen konfrontiert. Nach der Diagnose Gebärmutterhalskrebs musste sie ihre Gebärmutter, Eierstöcke und die betroffenen Lymphknoten entfernen lassen und sich einer Radiochemotherapie unterziehen. «Eine schwierige Entscheidung, die ich treffen musste, war, ob ich die empfohlene Chemotherapie mit Cisplatin weiterführe oder nicht. Nach zwei Gaben griff das Medikament meinen Hörnerv an, ich bekam Tinnitus und ein vermindertes, lärmempfindliches Gehör.» Die Nebenwirkungen waren so stark und beeinträchtigten Majas Lebensqualität derart, dass sie und ihre Ärzt*innen reagieren mussten: «Gemeinsam wogen wir Nutzen und Risiko ab und entschieden, diese Chemotherapie schliesslich abzubrechen und wegzulassen.» Maja ergänzt, dass bei ihrer Krebstherapie auch Vertrauen eine wichtige Rolle spielte: «Es ist auch eine Entscheidung, den Ärzt*innen zu vertrauen. Vertrauen darin zu haben, dass sie wissen, was sie machen. Eine gute Betreuung sowie eine gute Aufklärung sind das A und O».
Chemotherapie trotz schweren Nebenwirkungen weitermachen oder nicht? Maja musste sich entscheiden.
Wer informiert ist, kann besser Entscheidungen treffen
Gut informiert zu sein, ist für Betroffene fundamental. Professor Passweg führt deshalb immer ausführliche Informationsgespräche mit seinen Patient*innen, in denen er die Diagnose und die verschiedenen Behandlungsoptionen sowie deren Risiken und Chancen erklärt. «Es ist wichtig, dass man die Möglichkeit hat, eine Zweitmeinung einzuholen, um sich ein umfassenderes Bild zu machen. Patient*innen haben das Anrecht auf eine Abklärungs- und eine Behandlungsempfehlung. Doch was die medizinischen GuideIines empfehlen, passt nicht immer für alle», so der Onkologe. «Manchmal wissen selbst Expert*innen nicht, was die beste Option ist. In solchen Fällen ist es wichtig, dass transparent mit den Patient*innen über diese Unsicherheiten gesprochen wird», ergänzt er. Passweg betont auch, dass eine Entscheidung nie endgültig ist. Sie kann und darf sich je nach Krankheitsverlauf ändern. Im Entscheidungsprozess spielen persönliche Werte und individuelle Ziele eine zentrale Rolle. Und man sollte sich die nötige Zeit lassen. Wichtig ist es, den Frieden mit einer getroffenen Entscheidung zu finden und nicht ständig daran zu zweifeln. «Entscheidungen zu treffen ist Teil der Lebenskunst und der Individualität eines jeden Menschen», so der Onkologe.
Kay stand vor einer enorm schwierigen Entscheidung
Kays schwerwiegendster Lebensentscheid
Kay (57) lebt mit einem metastasierten Prostatakrebs. Obwohl seine Werte stabil sind, ist er als palliativ eingestuft, seine Lebenszeit ist begrenzt. Nach 19 Jahren trennte er sich von seiner Frau, die er noch heute als seine Seelenverwandte sieht: «Trotz unseres engen Bandes hatten wir enorme Konflikte, die irgendwann eskalierten und zu meinem Trennungsentscheid führten. Mit dem Entschluss habe ich lange gehadert und auch therapeutische Hilfe gesucht und bekommen. Ich kam zum Schluss, dass ich meine verbleibende Zeit lieber allein verbringen möchte, als es weiterhin zu versuchen und unter den Konflikten zu leiden. Durch diesen Entscheid habe ich an Lebensfreude gewonnen.»
«Klinische Studien bringen immer Vorteile, nämlich für jene, die später davon profitieren können.»
Teilnahme an klinischen Studien als weitere wichtige Entscheidung
Ebenso bedeutsam ist die Entscheidung, ob man an einer klinischen Studie teilnimmt. Ohne solche Studien gäbe es keine neuen Medikamente oder Therapien. Darum werden Krebspatient*innen oft für die Teilnahme an einer klinischen Studie angefragt. Dies wirft viele Fragen auf: Ist das sicher? Wie ist es mit den Nebenwirkungen? Und wie werde ich während der Studie betreut? Ein Krebspatient, der sich für die Teilnahme an einer klinischen Studie entschied, ist Lorenz. 2017 erhielt er die Diagnose Hodgkin- Lymphom. Nach einer schweren Chemotherapie, die bei ihm starke Übelkeit verursachte, nahm er an einer Studie teil, die ein neues Medikament gegen diese Übelkeit testete. «Mein Onkologe kam auf mich zu und sagte, es gäbe da eine Studie. Sie dauere nur drei Monate, man wolle während der Therapie ein neues Medikament gegen Erbrechen und Brechreiz ausprobieren. Da es mir wirklich mies ging, sagte ich sofort zu.» Obwohl das Medikament bei Lorenz nicht wirkte, sieht er seine Teilnahme rückblickend positiv: «Bei mir schlug das Medikament nicht an, bei anderen hingegen schon. Ich sehe es als Beitrag an die Medizin. Ohne Studien gibt es keinen Fortschritt in den Behandlungen», ist Lorenz überzeugt. Auch Passweg ist dieser Ansicht: «Klinische Studien bringen immer Vorteile, nämlich für jene, die später davon profitieren können. Sie schaffen einen Wissenszuwachs, der anderen Patient*innen zugutekommt.»
Datum: 24.10.2024