Mann zwischen Felsen
Hirntumor
Wissen

Glio­blastom: der ag­gres­sive Hirn­tumor

Dr. Andreas Hottinger

Dr. med. Dr phil Andreas Hottinger
Direktor Hirntumorzentrum
Universitätsspital Lausanne, CHUV

Rund 250-260 Personen in der Schweiz erkranken jährlich an einem Glioblastom. Für diesen eher seltenen und dennoch häufigsten bösartigen Hirntumor gibt es neuerdings dank Tumor Treating Fields (TTFields) bessere und längere Überlebenschancen. 

Wichtig sind auch eine gute Arzt-Patienten-Beziehung sowie die umfassende ärztliche Beratung zusammen mit spezialisiertem Pflegepersonal, wie Dr. Andreas Hottinger vom Universitätsspital Lausanne, CHUV, im Interview erklärt.

 

Dr.  Hottinger  im  Gespräch

Dr. Hottinger, was ist ein Glioblastom, wie entsteht dieses und wie wird es meistens entdeckt?

Dr. Hottinger: Beim Glioblastom handelt es sich um eine Form eines leider sehr aggressiven Hirntumors. Der Tumor entsteht direkt im Hirn aus hirneigenen Zellen. Diese Tumorform muss von Ablegern, das heisst Metastasen, unterschieden werden, die von anderen Tumoren im Körper stammen und sich im Gehirn ansiedeln können. Das Glioblastom verbleibt im Gehirn, kann sich aber dort an verschiedenen Orten ansiedeln. Entdeckt wird der Tumor meistens überraschend, wenn aufgrund des Tumorwachstums plötzlich eine Hirnfunktion ausfällt. Ein epileptischer Anfall, Lähmungserscheinungen oder Wesensveränderungen können ebenfalls erste Symptome sein.

 

Wer ist typischerweise von einem Glioblastom betroffen?

Dr. Hottinger: Das Risiko dieser seltenen Tumorerkrankung – drei pro 100‘000 Personen und Jahr - steigt mit zunehmendem Alter. Einzig bekanntes Risiko sind sehr hohe medizinisch bedingte Strahlendosen auf den Kopf, die früher angewendet wurden. Mobile Telefone oder Vielfliegerei sind aufgrund der Seltenheit der Erkrankung als Risiko unwahrscheinlich.

Mann auf Felsen

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es beim Glioblastom?

Dr. Hottinger: Die Behandlung ist schwierig weil es bis jetzt noch keine Therapie gibt, die eine Heilung sicherstellt. Zuerst geht es darum, chirurgisch so viel vom Tumor wie möglich zu entfernen. Allerdings sind wichtige Hirnstrukturen zu schonen, sodass es nicht zu neurologischen Ausfällen kommt, die das Leben massiv einschränken würden. Es gibt keine klaren Tumorgrenzen, sodass es sehr schwierig ist, das ganze Tumorgewebe chirurgisch sicher entfernen zu können. Deshalb wird vier bis sechs Wochen nach der Operation noch mit einer kombinierten Strahlen- und Chemotherapie weiterbehandelt.

 

Welche Fortschritte gibt es aktuell in der Glioblastom Therapie?

Dr. Hottinger: Inzwischen ist eine anerkannte und neu von den Krankenkassen bezahlte ambulant durchgeführte Therapie mit elektrischen Wechselfeldern (TTFields) möglich. Es handelt sich um das Anlegen von elektrischen Wechselfeldern über Arrays, die auf der Kopfhaut platziert werden. Studien haben gezeigt, dass diese Behandlung zur Verlangsamung oder zum Stopp der Tumorzellteilung und zum Absterben der Glioblastomzellen führen kann. Milde bis moderate Hautirritationen sind das häufigste gerätespezifische unerwünschte Ereignis. Erkrankte, die damit behandelt wurden, schnitten besser ab als nicht damit behandelte Personen. Bemerkenswert ist, dass unter dieser Therapie auch die Anzahl von Patienten*innen die lange überleben (mehr als 3 Jahre) signifikant ansteigt.

«Ich bin immer wieder erstaunt, wie Betroffene diese negative Diagnose überwinden, wieder Mut fassen und dann auch positiv reagieren können.»

Dr. Andreas Hottinger

Wie reagieren Ihre Patient*innen auf die Diagnose?

Dr. Hottinger: Hier reagieren Betroffene genau gleich wie bei jeder Krebsdiagnose. Natürlich ist es für die Patient*innen ein Schock. Doch ich bin immer wieder erstaunt, wie Betroffene diese negative Diagnose  überwinden, wieder Mut fassen und dann auch positiv reagieren können. Wichtig ist, dass es heute nicht mehr nur eine einzige Therapie gibt, was auch Hoffnung schafft. Bei Rückfällen, einem sogenannten Rezidiv, können wir heute ein vielfältiges Angebot an verschiedenen Behandlungen anbieten, um das Leiden möglichst gut zu meistern. Es gibt schnelle Verläufe, aber auch Betroffene, die lange überleben können.

 

Wie gehen Sie auf die Reaktionen und Ängste der Betroffenen ein?

Dr. Hottinger: Sehr wichtig ist ein gutes Arzt-Patienten-Verhältnis. Dazu gehören eine gute Kommunikation und das Aufzeigen und Besprechen von Vorteilen und Nachteilen aller Therapiemöglichkeiten. Es handelt sich um einen Prozess auf den die Patient*innen vorbereitet werden sollen. Man muss feststellen, was für Betroffene aus ihrer Sicht wichtig für das Leben und die Lebensqualität ist. Das führt dazu, dass ich versuche, die Patientin intensiv kennen zu lernen, damit ich auch optimal auf ihre individuellen Bedürfnisse eingehen kann. Wichtig ist zudem, dass man sich Zeit für die Betroffenen nimmt, aber auch für ihr Umfeld, das eine bedeutende Rolle spielt. Diese Gespräche sind ein sehr wichtiger Teil der Behandlung und können fast ebenso maßgebend sein wie die eigentliche Therapie.

Mann auf Felsvorsprung

Welche Fragen bringen Ihre Patient*innen mit ins Arztgespräch?

Dr. Hottinger: Natürlich sehr viele Fragen. Es geht um die Therapie, Nebenwirkungen, zunehmende neurologische Einschränkungen, um das Umfeld, die Angehörigen, wie sollen sie informiert werden, den weiteren Verlauf, die Prognose, ihre Einstellung zum Leben und vieles mehr. Bei jedem Betroffenen stellen sich andere Fragen. Jede Person ist einzigartig und soll auch so betrachtet werden. Schwer fällt es mir, wenn es mir nicht gelingt, Betroffene auf ihren Weg für einen schwierigen Verlauf vorzubereiten, speziell, wenn der Krankheitsverlauf für sie nicht akzeptabel ist. Dann frage ich mich, was sonst noch zu unternehmen ist, um sie unterstützend zu begleiten.

 

Oft fühlen sich Patient*innen nach dem Arztgespräch überfordert und vergessen deshalb wichtige Informationen: Wie können sich Patient*innen nach dem Arztgespräch von zuhause aus informieren?

Dr. Hottinger: Es trifft absolut zu, dass Patient*innen in der schwierigen Situation nicht alles behalten können. Wir bieten Beratungen mit auf Hirntumoren spezialisierten und geschultem Pflegepersonal an. Diese stehen den Betroffenen zur Verfügung und können zu allen Fragen beraten. Sie nehmen sich Zeit und das ist sehr wichtig. Das geschieht im Rahmen der Behandlungen sehr eingehend und ist für die Patient*innen eine unglaublich wertvolle Unterstützung. Heutzutage gibt es zudem viele Webseiten die helfen können sowie die Krebsliga. Auch die Deutsche Krebshilfe bietet Hilfe an. Beim Internet ist allerdings das Problem, dass es für Betroffene schwierig ist zwischen seriösen und unseriösen Informationen zu unterscheiden.

Journalist: Thomas Ferber
Datum: 26.09.2022