Krebs Hypnose
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«Hyp­no­tische Zustände kennt jeder von uns»

Krebs Hypnose Expertin Nathalie Occhini

Nathalie Occhini
Psychoonkologin, Systemische Therapeutin SG, Dipl. Pflegefachfrau
Spitalzentrum Biel

In Hypnose verliert man nicht, wie oft befürchtet, die Kontrolle über das eigene Handeln – vielmehr schafft man sich einen inneren Rückzugsraum. Hypnose kann auch die Schmerzverarbeitung positiv beeinflussen.

Bei Hypnose denkt man unweigerlich an Showhypnose, bei der Freiwillige in Trance versetzt und manipuliert werden. Spüren Sie diese Vorurteile?

Nathalie Occhini: Oh ja, damit werde ich immer wieder konfrontiert. Hypnose ist tatsächlich noch immer mit zahlreichen Vorurteilen behaftet, weckt bei vielen aber auch die Neugierde. Die erwähnte Showhypnose hat übrigens rein gar nichts mit der medizinischen Hypnose zu tun. Da braucht es noch einiges an Aufklärungsarbeit.

 

Dann erklären Sie uns: Was ist Hypnose wirklich und wie funktioniert sie?

Occhini: Vorweg: Hypnotische Zustände kennt jeder von uns. Diese erleben wir auch im Alltag, wenn wir in Gedanken versunken und für einen Moment weit weg sind. Hypnose ist ein Sammelbegriff für verschiedene Bewusstseinszustände (Trancen). In Hypnose verliert man nicht, wie oft befürchtet, die Kontrolle über das eigene Handeln. Sie ist vielmehr ein Zustand erhöhter Aufmerksamkeit, verbunden mit einem starken Fokus auf innere Bilder und Vorgänge. Gefühle können dabei verstärkt oder abgeschwächt wahrgenommen werden. Auch im Moment einer Krebsdiagnose erleben viele einen hypnotischen Zustand – zum Beispiel sind Gefühle der Angst verstärkt wahrnehmbar. Die Patient*innen nehmen jedes Wort, jede Gestik und Mimik des Arztes oder der Ärztin ganz anders wahr; sie sind hochempfänglich und suggestibel. Umso wichtiger ist die Art, wie das medizinische Fachpersonal kommuniziert und der Patient*in gegenübertritt. Genau daran knüpft nun die Hypnosetherapie an.

 

Die Kommunikation spielt in der Hypnose eine tragende Rolle?

Occhini: Die positive Wortwahl, angepasste Sprechgeschwindigkeit und die ruhige Stimme der Hypnosetherapeut*in wirkt sich positiv auf das innere Erleben der Betroffenen aus. Sie kann Patient*innen dabei helfen, einen Zustand tiefer Entspannung zu erleben und ihre positiven Erfahrungen aus der Trance zur Bewältigung von Belastungssituationen im Alltag einzusetzen. Die Patient*in ist während der Hypnose übrigens immer wach und kann jederzeit reagieren.

 

Wie wird Hypnose in der Psychoonkologie eingesetzt?

Occhini: Krebspatient*innen sind in einer Krisensituation und stehen oft unter Angst und Daueranspannung. Viele von ihnen leiden auch unter Einschlafstörungen. Das Ziel der Hypnosetherapie ist es nun, die Patient*in in einen maximalen Entspannungszustand zu begleiten, Ressourcen zu stärken, positive Bilder zu aktivieren und einen inneren Ort zu schaffen, an den sie sich gedanklich jederzeit zurückziehen kann. Ein Ort, der ihr Sicherheit und Ruhe gibt.

An einem Schweizer Spital wurde vor kurzem ein Patient komplett unter Hypnose ohne Narkose operiert. Wie beeinflusst Hypnose die Schmerzwahrnehmung bei Krebspatienten?

Occhini: Durch die Vorstellungskraft können Schmerzen beziehungsweise die Schmerzverarbeitung im Gehirn beeinflusst werden. Ebenso können die Stresshormone gesenkt werden. Wichtig ist hier zu erwähnen, dass Hypnose gegen den Willen der Patient*innen nicht funktioniert.

Es braucht die Bereitschaft, sich auf die Hypnose einzulassen. Dafür ist ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Patient*in und Therapeut*in eine wichtige Voraussetzung. Die Patient*in muss mitarbeiten. Es gibt eine Minderheit von Menschen, die nicht hypnotisierbar sind. Bei diesen Menschen klappt es einfach nicht.

 

Wie kann sich Hypnose auf die Bewältigung von Nebenwirkungen der Krebstherapie auswirken?

Occhini: Die Hypnose kann darauf einen sehr positiven Effekt haben. Dazu ein Beispiel: Ich habe eine Patientin betreut, die unter extremer Übelkeit litt. Nur schon beim Gedanken an die Therapie wurde ihr schlecht. In der Hypnose haben wir ihre Vorstellungskraft dahingehend aktiviert, dass die gesunden Körperprozesse alle schlechten Nebenwirkungen ausleiten. Mit diesen Bildern hat sie die Therapie und die damit verbundenen Gerüche als erträglicher erlebt.

 

Wie wirkt sich Hypnose auf die Psyche von Krebspatient*innen aus?

Occhini: Man weiss mittlerweile viel darüber, wie Hypnose in belastenden Lebenslagen einer bedrohlichen Erkrankung und ihrer Behandlung die Psyche stärkt und die Lebensqualität verbessert werden kann.

Das Ziel, welches die Patient*innen für die Hypnosesitzung haben, ist sehr unterschiedlich. Für manche ist es ein Moment der Tiefenentspannung. Andere möchten mehr Gelassenheit und Vertrauen entwickeln und ihre Ressourcen stärken. Die in der Hypnose verankerten Bilder helfen ihnen auch im Alltag für psychische Stabilität. Oft wird erzählt, dass die Hypnose einen nachhaltigen Effekt hat.

 

Wie können Betroffene die Erfahrungen aus der Hypnose auch zu Hause weiter nutzen?

Occhini: Wichtig ist, dass sich die Patient*innen während der ganzen Krebsbehandlung immer wieder als selbstwirksam erleben können. Das heisst «Werkzeuge» zu erhalten, mit welchen sie sich selber in bestimmten Situationen unterstützen können. Dies ist zum Beispiel möglich mit Selbsthypnose. Deshalb nehme ich die Hypnosesitzung per Audio auf, damit sie die Patient*innen zu Hause wiederholen können. Die Wiederholung kann die positive Wirkung der Hypnose verstärken.

 

Haben Sie ein positives Beispiel aus ihrem Behandlungsalltag, das Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben ist?

Occhini: Ich habe einen Patienten mit Speiseröhrenkrebs betreut, der eine grosse Operation vor sich hatte und von starken Ängsten geplagt war. Sein Wunsch war es, in der Hypnose einen Ort zu finden, der ihm Vertrauen gibt und an den er sich zurückziehen kann. Er begann von einem Ort in Irland zu erzählen -davon, wie es ihm gegangen ist, wenn er dort war. Er beschrieb die grüne, unberührte Landschaft, die Gerüche und Geräusche. Dieses Gefühl und seinen ‘Safeplace’ wollte er mitnehmen. Er erzählte mir später, dass er mit der Hypnose in die Narkose ging und die OP gut überstanden hat.

Haben Sie konkrete Tipps dazu?

  • Suchen Sie nach inneren Bildern und Orten, die Ihnen guttun
  • Schulen Sie Ihre Fähigkeit, positive Erinnerungen im Hier und Jetzt zu verankern
  • Achten Sie auf Ihre Atmung und auf genügend Sauerstoff – das hat einen Einfluss aufs gesamte System
Journalistin: Anna Birkenmeier
Datum: 24.04.2024