
«Die integrative Onkologie ist für all jene sinnvoll, die aktiv etwas für sich tun möchten.»

Die Integrative Onkologie vereint konventionelle Onkologie und komplementäre Therapien miteinander. Doch wie funktioniert das Neben- und Miteinander der eigentlich sehr unterschiedlichen Therapieansätze? Was sind die Chancen der integrativen Onkologie und wie können von Krebs Betroffene von der Komplementärmedizin profitieren? Dr. Marc Schläppi gibt Auskunft.
Dr. Schläppi erklärt
Dr. Schläppi, was ist integrative Onkologie?
Dr. Marc Schläppi: Die Integrative Medizin verbindet die komplementäre und die konventionelle Schulmedizin. Dabei ist «Komplementärmedizin» ein Sammelbegriff für ergänzende Heilverfahren, die zur Linderung von verschiedenen Symptomen und zur Förderung der Selbstheilungskräfte eingesetzt werden.
Worin liegt der Unterschied zwischen alternativer Medizin, Komplementärmedizin und integrativer Onkologie?
Schläppi: Die Komplementärmedizin handelt stets evidenzbasiert und bezieht sich auf Praktiken, die begleitend zur Schulmedizin angewandt werden. Sie wird beispielsweise nie anstelle einer Operation, Chemo- oder Immuntherapie vorgeschlagen, sondern soll diese in der Onkologie etablierten Therapien ergänzen. Dabei steht der Patient stets im Fokus der integrativen Onkologie, die die Brücke zwischen Komplementär- und Schulmedizin darstellt.
Die Komplementärmedizin ist klar von der Alternativmedizin abzugrenzen. Denn die alternative Medizin bezeichnet unkonventionelle Praktiken, die anstelle der Schulmedizin angewandt werden.

Wie ist die wissenschaftliche Grundlage bei integrativer Onkologie?
Schläppi: Die Grundlagen aus der evidenzbasierten Medizin sind vorhanden. Immer mehr Studien aus dem Bereich der integrativen Onkologie werden publiziert. Sie bilden die 1. Säule des 3-Säulen-Konzeptes, auf welchem die evidenzbasierte Medizin basiert. Des Weiteren umfasst es die Erfahrung des Arztes (2. Säule) und die Patientenperspektive (3. Säule). Zudem gibt es mittlerweile in der integrativen Onkologie evidenzbasierte Leitlinien.
Wie können Patient*innen von integrativer Onkologie profitieren?
Schläppi: Die integrative Onkologie legt den Fokus auf die Verbesserung der Lebensqualität während und nach der Therapie. Dazu gehören unter anderem die Minderung der Nebenwirkungen und Stressreduktion oder auch Unterstützung bei der physischen und psychischen Rehabilitation. Dafür greift sie auf eine Vielzahl von Möglichkeiten zurück: Dies umfasst beispielsweise die gezielte Gabe von verschiedenen Präparaten, Osteopathie, Kunsttherapie, Heileurythmie, Akupunktur, Mind-Body-Verfahren, Yoga, etc.
Welche Patient*innen können davon profitieren?
Schläppi: Komplementärmedizinische Massnahmen sind vor allem etwas für all jene, die aktiv etwas für sich tun möchten. Die integrative Onkologie ist keine «Reparaturmedizin» im passiven Sinne. Häufig ist der Weg des Patienten so, dass er selbst irgendwann nach der Krebsdiagnose aktiv wird, sich nach ergänzenden Therapien erkundet und das Gespräch mit dem behandelnden Onkologen, bzw. Hausarztsucht. Dieser wiederum verweist seine Patient*innen dann an die integrative Onkologie.
«Die integrative Onkologie legt den Fokus auf die Verbesserung der Lebensqualität während und nach der Therapie.»
Wo können Patient*innen mit einem integrativen Ansatz behandelt werden?
Schläppi: Mittlerweile an praktisch jeder grösseren onkologisch tätigen Klinik. Heute hat in der Schweiz praktisch jeder Krebspatient Zugriff auf eine integrative Versorgung.
Wie sieht die Zusammenarbeit bei integrativer Onkologie zwischen Ärzten, Therapeuten und Pflegenden aus?
Schläppi: Ein interprofessionelles Setting bestehend aus Ärzten diverser Disziplinen und Therapeuten der verschiedensten Richtungen bildet die Grundlage jeder Behandlung. Dabei steht der einzelne Patient stets im Fokus. Wir hier in St. Gallen pflegen diesen Austausch beispielsweise wöchentlich an einem sogenannten integrativen Board.
Werden integrative Behandlungen von den behandelnden Onkologinnen akzeptiert?
Schläppi: Wie bereits erwähnt, werden in der Regel die Patient*innen von einer Onkologin oder einem Hausarzt an uns verwiesen. Die Anzahl integrativ behandelter Patient*innen wächst kontinuierlich. Ich denke, dass diese Entwicklung stellvertretend für die wachsende Akzeptanz der medizinischen Ansätze der integrativen Medizin bei Onkologen und Betroffenen steht.

Was können Patient*innen tun, wenn ihre behandelnden Ärzte sie nicht über weitere Angebote informieren und diese unterstützen?
Schläppi: Betroffene können sich ebenfalls bei den regionalen Krebsligen informieren. Oder fast immer kann auch direkt über die Webseite Kontakt mit der jeweiligen integrativen Medizin aufgenommen werden.
Werden Behandlungen von der Krankenkasse übernommen?
Schläppi: Ärztliche und pflegerische komplementärmedizinische Leistungen wer-den von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) übernommen. Komplementärtherapien (Kunsttherapie, Osteopathie z.B.) übernimmt in der Regel die Zusatzversicherung für Komplementärmedizin.
Datum: 28.10.2022