Körperbild und Intimität nach Krebs
Die körperlichen Veränderungen, die durch Krebs und seine Behandlungen entstehen, können tiefgreifend sein. Dr. Astrid Ahler, Gynäkologin und Sexualmedizinerin, betont, wie wichtig es ist, den eigenen Körper und diese Veränderungen anzunehmen, um körperliche Nähe zulassen zu können.
Umgang mit dem neuen Körperbild
Die Ärztin Astrid Ahler arbeitet oft mit Krebsbetroffenen zusammen. Um sie zu unterstützen, hat sie das Projekt «justASKus» ins Leben gerufen. In ihren Sprechstunden und Workshops spricht die Expertin Themen wie Körperwahrnehmung, Sexualität, Fertilität sowie den schwierigen Balanceakt zwischen Intimität und dem eigenen Körperbild nach einer Krebserkrankung an. Dr. Ahler führt das Beispiel einer Mastektomie an: «Der Körper hat sich durch die Krankheit und die Behandlung spürbar verändert, und die Narben einer Brustentfernung lassen sich nicht einfach wegwischen. Solche körperlichen Veränderungen sind oft schwer zu akzeptieren.»
Ihren Patient*innen empfiehlt sie in einem ersten Schritt, den Trauerprozess über die bleibenden Veränderungen zuzulassen und danach den Fokus zu ändern: «Ich lade meine Patient*innen dazu ein, sich auf das zu konzentrieren, was ihnen am eigenen Körper gefällt. Denn jeder Mensch hat etwas Schönes.» Ihr Ansatz, den eigenen Körper bewusst zu betrachten, hat sich bewährt: «Vielen Betroffenen wird so klar, dass sie trotz der Narben viele schöne Seiten an sich haben.» Ahler rät zudem, dass Cancer Survivors ihre Narben als Teil der eigenen Geschichte sehen sollten: « Nicht nur als Erinnerung an eine schreckliche Zeit, sondern auch als Zeichen des Überlebens.»
«Man muss seinen eigenen Wert kennen und verstehen, dass es keine perfekte Schönheit gibt – Geschmäcker sind verschieden.»
Selbstbewusstsein statt Angst vor Ablehnung
Krebsbetroffene haben oft Angst, negativ bewertet zu werden. Sie übersehen dabei jedoch, dass viele Menschen mit ihren eigenen Unsicherheiten beschäftigt sind. Die Expertin betont, dass jeder die Furcht vor Ablehnung kennt, besonders beim Dating, wo man auch ohne Krebs der Beurteilung anderer ausgesetzt ist. Bei Krebsbetroffenen ist diese Angst aber oft intensiver: «Sie fürchten, wegen ihrer Erkrankung abgelehnt zu werden.» Daher sei es hilfreich, sich auf das zu konzentrieren, was man an sich selbst schätzt, und sich nicht von äusseren Meinungen beeinflussen zu lassen: «Man muss seinen eigenen Wert kennen und verstehen, dass es keine perfekte Schönheit gibt – Geschmäcker sind verschieden.» Krebs muss im Dating keine entscheidende Rolle spielen. So hat eine holländische Studie gezeigt, dass auf Dating-Apps Profile von Menschen, die ihre Krebserkrankung offenlegten, genauso oft für ein Date kontaktiert wurden wie solche ohne diesen Hinweis. Ahler rät auch, Geduld zu haben und auf den richtigen Partner oder die richtige Partnerin zu warten. Jede und jeder sollte eine Partner*in an der Seite haben, die uns dafür liebt WER wir sind und nicht WIE wir aussehen.
Intimität und Körperakzeptanz in Beziehungen
Wenn die Beziehung sich vertieft und Intimität ins Spiel kommt, stellen sich viele Krebsüberlebende die Frage, wie sie mit ihrem veränderten Körper umgehen sollen. Es ist eine Herausforderung, den eigenen Körper einem neuen Partner bzw. einer neuen Partnerin zu zeigen, besonders nach einer Mastektomie oder anderen sichtbaren Folgen der Krebserkrankung. Gemäss Ahler ist es wichtig zu verstehen, dass jeder Mensch Unsicherheiten hat: «Sich jemandem nackt zu zeigen, ist immer eine Herausforderung , weil wir ungeschminkt dem anderen gegenüber treten und wir uns in unserer ganzen Verletzlichkeit zeigen – unabhängig davon , ob man Narben hat oder nicht.»
Ahler empfielt, das eigene Tempo zu finden und sich nur dann zu zeigen, wenn man sich wohlfühlt. Offene Kommunikation ist dabei der Schlüssel. Denn viele Missverständnisse in Beziehungen entstünden aus falscher Rücksichtnahme: «Manchmal fasst der/die Partner*in einen nicht an, weil er/sie Angst hat, einen zu bedrängen. Das wird dann oft als Ablehnung missverstanden», erklärt die Expertin. Helfen kann es, darüber zu sprechen, was beide Seiten sich wünschen.
«Ihr seid grossartig so, wie ihr seid. Seid stolz auf euch.»
Selbstbestimmte Intimität und Selbstakzeptanz als Schlüssel
Sexualität bedeutet nicht nur «Sex», auch Intimität durch Berührungen gehören dazu. «Man sollte sich fragen, was man selbst wirklich möchte,» so Dr. Ahler. Das können auch intime Berührungen ohne Sex sein. «Entscheidend ist es, dies von Anfang an mit dem/der Partner*in zu besprechen. So kann man sich leichter auf Nähe einlassen, ohne Angst zu haben, dass es zwangsläufig zum Sex führen muss.»
Egal, ob es um das eigene Körperbild, Dating oder Intimität in einer Beziehung geht, Ahler betont die Wichtigkeit, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und sich bei Bedarf professionelle Unterstützung zu suchen. Sie weist zudem darauf hin, dass viele der Ratschläge nicht nur für Krebsbetroffene, sondern für alle Menschen gelten: «Wir alle haben Unsicherheiten und Herausforderungen.» An Krebsbetroffene richtet sie den ermutigenden Rat: «Ihr seid grossartig so, wie ihr seid. Seid stolz auf euch.»
Mehr Infos zu JustASKus und zu den Sprechstunden
mit Dr. Ahler und ihrem Team gibt’s hier:
www.justaskus.ch
Datum: 15.10.2024