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Nebenwirkungen

Krebs- und Krebstherapie bedingte Fatigue – mehr als Müdigkeit

Profilbild von Dr. med. Florian Strasser, Chefarzt Integrierte Ökologische Rehabilitation, Klinik Gais

PD Dr. med. Florian Strasser
Chefarzt Integrierte Onkologische Rehabilitation
& Cancer Fatigue Clinic
Klinik Gais

Durch Krebs oder die Krebsbehandlung bedingte Fatigue ist das häufigste Symptom, unter welchem Krebspatienten leiden. Dr. Florian Strasser ist Spezialist für Onkologische Rehabilitation und erklärt, woher diese Fatigue kommt und wie Betroffene dieser entgegenwirken können.

Mehr als Müdigkeit

Was ist krebsbedingte Fatigue, bekannt unter dem Kürzel CRF („cancer related fatigue“)?

Man muss zwischen einer durch die Krebs-Erkrankung und einer durch die Krebs-Behandlung bedingten Fatigue unterscheiden. Die krebsbedingte Fatigue kann bei jedem Menschen mit einer aktiven Krebserkrankung auftreten, auch nahe am Lebensende. Bei der Krebstherapie bedingten Fatigue („Cancer-treatment related Fatigue“: CtrF) handelt es sich um die Folgen beispielsweise einer Chemotherapie, Immuntherapie, Bestrahlung oder Operation. Es braucht ein umfassendes Behandlungsprogramm, damit es den Betroffenen wieder besser geht und sie mit CtrF besser umgehen können.

Wie unterscheidet sich diese von normaler Müdigkeit?

Die krebsbedingte Fatigue ist anhaltend, Ruhe oder Schlaf bringen weniger Besserung oder Erholung als beim gesunden Menschen.

«Die normale Müdigkeit als Folge einer körperlichen Aktivität passt zum Ausmass der Aktivität und ist vorübergehend.»

PD Dr. med. Florian Strasser

Wie entsteht CtrF?

 Sprechen wir von der krebstherapiebedingten Fatigue (CtrF): Die Krebsbehandlung verursacht leider auch Schädigungen. Es können vermehrt entzündliche Faktoren gebildet werden und je nach Ausprägung und Veranlagung der Betroffenen kann es zur Fatigue kommen. Es können auch Störungen der Hirnanhangsdrüse, genauer des Hypothalamus, auftreten, wie auch der Serotoninregulation im Hirn. Möglicherweise spielen diese Systeme eine Rolle bei Stimmungsveränderungen (Depression), typisch bei CtrF. Möglicherweise spielt auch eine Störung der Melatonin-Produktion hinein, die für die Schlafregulation wichtig ist. Schliesslich gibt es immer mehr Hinweise, dass auch die erblichen Faktoren von Betroffenen eine Rolle bei der Bewältigung des Behandlungsstresses eine Rolle spielen könnten. Aus meiner Sicht könnte auch die wiederholte Konfrontation mit schweren Ereignissen dazu führen, dass mit jedem Ereignis die Ausprägung der Fatigue stärker wird. Dies wäre dann auch bei der Abfolge von mehreren Behandlungen gegen den Krebs der Fall.

Wen betrifft krebsbedingter Fatigue und warum?

Betroffen können alle Patientinnen und Patienten sein, die eine umfassende Krebsbehandlung bekommen. Vorerkrankungen, wie emotionale/psychische Belastungen, Neuropathie, oder chronifizierte Schmerzsyndrome können sich erschwerend auswirken.

Wie bewältigen CRF Patienten ihren Alltag?

Typisch sind die fehlenden Energiereserven. Sind sie schnell erschöpft, mangelt es an Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit sowie an Elan für weitere Aktivitäten. Fiebrigkeit, Kopfschmerzen und Übelkeit können sich bei Überbelastung hinzugesellen. Die emotionale Belastbarkeit nimmt ab. Belastend wirkt der zunehmende Unterschied zwischen den Erwartungen an das Leben und den bestehenden, krankheitsbedingt eingeschränkten Möglichkeiten. Je grösser der Unterschied, desto höher die Belastung. Depressionen können auftreten, auch die Angst, die eigene Integrität und die Selbstkontrolle zu verlieren.

Was kann gegen CRF unternommen werden? Gibt es eine Therapie?

Wichtig ist es, dass alle an der Behandlung Beteiligten sich bewusst sind, dass Menschen mit Krebserkrankungen an einer Fatigue leiden können, die nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Die Gefahr besteht, dass das Leiden und die Funktionseinschränkung nicht genügend erkannt wird. Alle Patientinnen und Patienten sollen aktiv danach gefragt werden, damit eine CtrF-Behandlung beginnen kann. Selbst Patienten, die das Gefühl haben, dass sie diese Fatigue ertragen können (müssen), kann geholfen werden. Auch diese Patienten gilt es aufzuspüren. Hier braucht es ein aus vielen verschiedenen Teilen zusammengesetztes, zielgesteuertes und koordiniertes Therapieprogramm.

Zu nennen sind körperliches Ausdauertraining, Gymnastik und etwas Krafttraining. Die psychologische Beratung und Behandlung wird kombiniert mit Kunst- oder Musiktherapie, um Trauerarbeit zu leisten, innere Belastungen aufzuspüren und zu befreien. Achtsamkeitstraining mit Techniken zur Stressbewältigung wie Atemübungen, Progressive Muskelrelaxation oder Yoga können helfen, die eigene innere Mitte besser zu finden. So kann erlernt werden wie mit der verfügbaren Energie besser umgegangen werden kann und «Energiefresser», wie Ärger, überhöhte Erwartungen oder Frustrationen erkannt und abgebaut werden können.

«Die Akzeptanz der Unzulänglichkeiten kann steigen.»

PD Dr. med. Florian Strasser

Die Ernährungsberatung fokussiert auf energie- und eiweissreiche Mahlzeiten, aber gleichzeitig mit wenig Kohlenhydraten, so biologisch wie möglich, mediterran mit vielen Früchten, Gemüsen und Kräutern, eher vegan, eventuell mit Einbau von Fastenperioden (z.B. 16/8). Wichtig ist auch der liebevolle Umgang mit dem eigenen Körper und die Sinnlichkeit zu pflegen. Schliesslich ist Sozialberatung essenziell zur Unterstützung der Resozialisierung und vielleicht auch Wiederaufnahme von Beschäftigung und Arbeit. Diese Massnahmen können erfolgreicher sein, wenn sie parallel und koordiniert sowie in adäquater Intensität erfolgen. Dies gelingt besser, wenn sie stationär und über einige Wochen, gefolgt von ambulanter Weiterführung erfolgen.

Autor: Thomas Ferber
Datum: 27.09.2022