Herausforderungen von Männern mit Krebs
Die körperlichen und psychologischen Herausforderungen von krebsbetroffenen Männern sind vielseitig und werden oft tabuisiert. Zwei Experten und ein Betroffener schauen mit uns die häufig damit zusammenhängenden Problematiken an und zeigen Möglichkeiten, wie man ihnen begegnen kann.
Wenn das Leben eine unerwartete Wendung nimmt
Stets ausgeglichen, aber auch ehrgeizig, entschlossen und stark – das sind Attribute, die noch heute oft Männern zugeschrieben werden. Aber was, wenn das Leben eine unerwartete Wendung nimmt und ein Mann die Diagnose Krebs erhält? «Die Idee einer Männerfigur, die alle Lebenslagen bewältigen kann, lässt kaum Raum für Schwäche, Gefühle und Ängste», so Stefan Mamié. Der Psychoonkologe, Psychologe und Paar- und Sexualtherapeut betreut bei der Krebsliga in Zürich betroffene Männer, Frauen sowie Paare und kennt sich mit den psychologischen Herausforderungen bei Krebs aus.
Umgang mit Emotionen
Eine Krebsdiagnose ist für Betroffene ein Schock und löst viele Emotionen aus. Doch mit Beginn der Behandlung beobachtet Mamié eine Art De-Emotionalisierung: «Man befindet sich in einem Betriebszustand, in dem Gefühle selten Platz haben. Das ist auch gar nicht falsch, da in dieser Phase Gefühle eher hinderlich sind.» Männer schaffen es oft, das Erlebte als Vergangenheit abzubuchen, zu verdrängen und nach vorne zu schauen. «Diese Verdrängungstaktik kann jedoch dazu führen, dass unterdrückte Gefühle später wieder hochkommen und dann schwerer zu bewältigen sind», so der Experte. Ausserdem erklärt Mamié, dass Gefühle nicht selektiv gefühlt werden können. Man kann nicht unangenehme Gefühle unterdrücken und gleichzeitig angenehme spüren. Wer Freude erleben will, muss sich auch dem Schmerz stellen. Ein Psychoonkologe oder eine Psychoonkologin kann hier bei der Bewältigung der emotionalen und psychologischen Belastungen helfen.
Folgen von Krebsbehandlungen bei Männern
Neben den psychischen und finanziellen Herausforderungen belastet Männer auch die sexuelle Gesundheit. Viele Krebsbehandlungen haben Auswirkungen auf die Erektionsfähigkeit. Dies kann das sexuelle Leben und das Selbstwertgefühl beeinträchtigen. «Männer vermeiden oft sexuelle Aktivitäten nach mehreren misslungenen Versuchen, was das Problem verstärken kann. Häufig ziehen sie sich nicht nur sexuell, sondern auch allgemein körperlich zurück. Was viele Männer dabei übersehen: Ihre Partner*innen leiden oft mehr unter dem Entzug von Zärtlichkeiten als unter der Funktionseinschränkung selbst», weiss Mamié. Marcus, ein Cancer Survivor, hatte nach seiner Prostataentfernung zwar keine Erektionsprobleme, er kennt aber den gesellschaftlichen Druck, der auf Männern lastet: «Das ist wie beim Sport, man muss immer der Erste sein und darf keine Schwäche zeigen. Vom Mann wird erwartet, dass er sexuell immer leistungsfähig ist. Wer diesem Ideal nicht entspricht, gilt oft als Versager.»
«Dies führt dazu, dass das Thema tabuisiert wird und man sich noch unwohler fühlt.»
Hilfsmittel bei Erektionsstörungen
Zur Wiederherstellung der Erektionsfähigkeit gibt es durchaus Möglichkeiten: darunter medikamentöse Therapien, physikalische Hilfsmittel wie Vakuumpumpen und Penisringe, sowie Injektionstherapien in den Schwellkörper. Eine ganzheitliche Behandlung, die physische und psychische Aspekte berücksichtigt, erzielt gemäss Mamié oft die besten Ergebnisse. Der Experte betont aber auch, dass die Erektionsfähigkeit manchmal nicht vollständig wiederhergestellt werden kann, weshalb zur Kompensation Hilfsmittel eingesetzt werden. «Diese Veränderung kann aber auch eine Chance sein, Zärtlichkeiten in der Partnerschaft mehr Raum zu geben und so die Partnerschaft neu zu entdecken» so Mamié.
Inkontinenz behandeln
Inkontinenz, der unkontrollierte Verlust von Urin, ist eine weitere häufige Folge bei Männern nach einer Prostataentfernung. «Inkontinenz führt zu starken Einschränkungen im Alltag, einschliesslich der Sexualität und kann zu einer erheblichen psychischen Belastung führen», weiss Prof. André Reitz, Experte auf dem Fachgebiet funktionelle Urologie und Neuro-Urologie, Urologe und leitender Arzt am Kontinenz-Zentrum der Klinik Hirslanden Zürich. Der erste Schritt zur Bewältigung von Inkontinenz ist oft die konventionelle Physiotherapie, bei der Betroffene lernen, durch gezielte Übungen die Blasenkontrolle wiederzuerlangen. Sollten diese Massnahmen nicht ausreichen, kann eine spezialisierte Rehabilitation oder der Einsatz einer Schliessmuskelprothese nötig sein.
Selbst ist der Mann
Es gibt aber auch einiges, was Männer selbst gegen Inkontinenz und Erektionsstörungen tun können. Eine Verbesserung der allgemeinen Fitness hilft, die Auswirkungen von Inkontinenz und Erektionsstörungen zu mindern. «Regelmässige Bewegung, Gewichtsreduktion und eine ausgewogene Ernährung sind wichtige Massnahmen, die jeder Mann selbst ergreifen kann. «Muskelaufbau und Mobilitätstraining sind ebenfalls hilfreich», so Prof. Reitz. Selbst tätig zu werden, kann helfen. Der Experte bemerkt aber auch, dass Männer früher Rat suchen sollten: «Frauen gehen regelmässiger zum Arzt, während Männer meist nur bei Symptomen gehen, weshalb sie oft später kommen als wünschenswert.»
Offen kommunizieren
Der Gang zum Arzt sowie offen über ihre Erkrankung zu sprechen, fällt vielen Männern schwer. Marcus kennt einige, die sich erst geöffnet haben, nachdem er selbst von seiner Prostataerkrankung erzählt hatte: «Die meisten scheuen sich, es anzusprechen. Offen kommunizieren hilft aber der Krebsprävention und motiviert auch andere, sich untersuchen zu lassen und sich frühzeitig Unterstützung zu holen.»
Mehr zu den Herausforderungen von Männern bei Krebs gibt's in unserer Podcaststaffel zum Thema.
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Datum: 14.10.2024