Neuroendokrine Tumoren Experteninterview: Hauptbild
Neuroendokrine Tumoren (NET)

Neuro­endokrine Tumoren: Symptome & Behandlungs­möglichkeiten

Neuroendokrine Tumoren Experte Prof. Damian Wild

Prof. Damian Wild
Leitung Nuklearmedizin
Zentrum für neuroendokrine und endokrine Tumore, USB 

Neuroendokrine Tumoren (NET) sind eine seltene Krebsart. Sie entwickeln sich aus den neuroendokrinen Zellen, die in vielen Organen zu finden sind. Prof. Damian Wild erklärt die wichtigsten Symptome und Behandlungsmöglichkeiten und spricht über die am Unispital Basel entwickelte Peptidrezeptor-Radionuklid-Therapie.

Was sind NET?

Prof. Damian Wild: NET ist die Abkürzung für die relativ seltenen neuroendokrinen Tumoren. Diese stammen, wie der Name sagt, von den neuroendokrinen Zellen ab. Das sind Zellen, die vom Nervensystem kontrolliert werden (daher neuro-) und Botenstoffe oder Hormone ausschütten (daher -endokrin). Sie sind in vielen Organen beziehungsweise fast im ganzen Körper zu finden. Häufig wachsen die Tumoren langsam, aber nicht immer. Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen fünfzig und sechzig Jahren, aber auch jüngere Personen können betroffen sein.

 

Die Inzidenz ist in den letzten Jahren konstant steigend, woran liegt das?

Wild: Es treten pro 100'000 Personen jährlich sechs bis sieben Neuerkrankungen auf. Diese sogenannte Inzidenz hat sich in den letzten Jahren vervierfacht. Ein Hauptgrund liegt bei der erhöhten Sensibilisierung der Ärzteschaft für diese Tumorerkrankung.  Typische Symptome der neuroendokrinen Tumoren werden deshalb heute häufiger korrekt erkannt. Dank besserer diagnostischer Verfahren bei der pathologischen Untersuchung werden diese Tumoren heute korrekt den neuroendokrinen Krebsformen zugeordnet. Mit den besseren bildgebenden Verfahren (CT, MRT) und der gesteigerten Sensibilisierung auch in der Radiologie werden die NET heute auch häufiger entdeckt. Mit Hilfe der nuklearmedizinischen Bildgebung können diese Tumoren spezifisch sichtbar gemacht werden, teils sogar in früheren Stadien. Daneben gibt es tatsächlich eine gewisse Zunahme, allerdings sind die Gründe dafür ausser bei den seltenen vererbbaren Fällen unklar. 

Es treten pro 100'000 Personen jährlich sechs bis sieben Neuerkrankungen auf. Diese sogenannte Inzidenz hat sich in den letzten Jahren vervierfacht.

Prof. Damian Wild

An welchen Körperstellen bildet sich ein NET am häufigsten?

Wild: Die häufigsten Entstehungsorte sind die Bauchspeicheldrüse, der Dünndarm, der Blinddarm auch Wurmfortsatz genannt und die Lunge. Die häufigsten Metastasierungsorte sind die Leber und die Lymphknoten sowie der Knochen, selten ist der Befall der Lunge und des Gehirns.

 

Was sind die Symptome eines NET?

Wild: In der Regel bilden diese Tumoren anfänglich kaum Symptome aus. Darum werden sie oftmals eher spät diagnostiziert, wenn sich bereits Metastasen gebildet haben. Meist klagen die Betroffenen dann über Schmerzen, hauptsächlich bedingt durch die Lage und Vergrösserung der Metastasen.

Gleich wie die neuroendokrinen Zellen können auch die neuroendokrinen Tumoren Hormone bilden. Das ist bei ungefähr 20% der NET der Fall. Serotonin ist dabei das häufigste von NET ausgeschüttete Hormon. In diesem Fall kann es zum sogenannten karzinoiden Syndrom kommen, mit Symptomen wie starken Durchfällen und dem Auftreten von anfallsartigem Erröten der Haut und Hitzewallungen (sog. Flush). Dieses Syndrom tritt erst auf, wenn sich in der Leber Metastasen gebildet haben. Die Diagnose nur aufgrund der Symptome zu stellen ist jedoch nicht möglich, weil solche Symptome auch in vielen harmlosen Fällen auftreten.

 

Wie werden NET diagnostiziert?

Wild: Die Diagnose wird mit der Entnahme und Untersuchung einer Gewebeprobe gestellt. Bei symptomatischen Patienten (Flush, Durchfälle) wird auch eine Blut- oder Urinuntersuchung gemacht, um das Abbauprodukt von Serotonin (Indolessigsäure) nachzuweisen. Wird ein NET, diagnostiziert, dann kann mit einer nuklearmedizinischen Bildgebung, dem PET-CT, die Lokalisation des NETs und der Metastasen im ganzen Körper (genannt Staging) nachgewiesen werden.

 

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für NET?

Wild: Die wichtigste und einzige heilende Therapie ist die Operation. Etwa 70% aller Betroffenen können in heilender Absicht operiert werden. Für alle anderen kommen weitere Behandlungen zum Zug, abhängig von der Geschwindigkeit des Wachstums und der Aggressivität des Tumors. Glücklicherweise sind langsam wachsende NETs am häufigsten. Bei diesen NET wird häufig als erstes mit einer antihormonellen Therapie behandelt sogenannte Somatostatin-Analoga, die in den Muskel oder unter die Haut gespritzt werden. Diese Therapie ist in der Regel gut verträglich und hemmt sowohl das Tumorwachstum als auch die Hormonausschüttung, hauptsächlich Serotonin. Ist diese Wachstumshemmung nicht ausreichend, dann sind abhängig vom betroffenen Organ weitere Therapien vorgesehen.

Beim Befall der Bauchspeicheldrüse werden Chemotherapien in Tablettenform verabreicht. Sie reduzieren die Tumorgrösse und sind besser verträglich als klassische Chemotherapien in Infusionsform. Im Dünndarm ist diese Behandlung weniger wirksam.

 

In Basel wurde dafür eine weitere Therapieform entwickelt.

Wild: Genau. Im Dünndarm wird die sogenannte Peptidrezeptor-Radionuklid-Therapie ausserordentlich wirksam eingesetzt. Dabei werden die Somatostatin-Analoga mit Radionukliden beladen, die anschliessend den Tumor unter weitgehender Schonung des umliegenden Gewebes von innen her radioaktiv bestrahlen und schrumpfen lassen. Diese in Basel entwickelte Therapie ist wirksam, meist gut verträglich und erlaubt eine Kontrolle des Tumorwachstums je nach Tumorart von fünf bis zwanzig Jahren und mehr. Zusammen mit weiteren Therapien haben diese Behandlungen die Überlebensprognose bedeutend verbessert, insbesondere bei Betroffenen mit einem gut differenzierten NET. Schwierig zu behandeln sind sogenannte entdifferenzierte neuroendokrine Karzinome (NEC).

 

Ein Blick in die Zukunft: Wie werden sich die Behandlungen in den nächsten Jahren verändern?

Wild: Aktuell wird die Peptidrezeptor-Radionuklid-Therapie weiter verbessert und könnte einen deutlich höheren Wirkungsgrad erreichen. Damit besteht Hoffnung, dass sich die Prognose des NET/NEC weiter verbessert. Bei den aggressiveren NET/NEC tut sich möglicherweise eine neue Behandlungsmöglichkeit mit einem PARP-Inhibitor auf, wenn diese Patient*innen eine BRCA-Mutation haben. Erforscht werden zudem ebenfalls bei aggressiveren NET/NEC Kombinationen von verschiedenen Behandlungen, um dadurch die Wirksamkeit zu steigern. Auch der Einsatz die Immuntherapie beim NET/NEC wird erforscht.

Journalist: Thomas Ferber
Datum: 26.09.2022