Vater und Sohn
Prostatakrebs
Therapien

Auch das Bauchgefühl soll stimmen

Prof. Seifert

Prof. Helge Seifert
Chefarzt Urologie
Leiter Urologisches Tumorzentrum
Universitätsspital Basel

Eine Operation beim Prostatakrebs stützt sich auf viele Faktoren. Der Entscheid zur Therapie liegt immer beim Patienten. Voraussetzung ist eine umfassende fachärztliche Aufklärung zusammen mit einem guten Vertrauensverhältnis.

Im  Gespräch  mit  Prof.  Seifert

 

Bei welchen Patienten mit Prostatakrebs wird eine Operation durchgeführt?

Prof. Helge Seifert: Grundsätzlich wird zwischen lokal begrenzten und lokal fortgeschrittenen auf der einen Seite und metastasierten Formen des Prostatakarzinoms auf der anderen Seite unterschieden, wenn die Krebszellen schon im Körper gestreut haben. Ist der Krebs auf die Prostata selbst oder die unmittelbare Umgebung begrenzt, dann wird eine kurative Behandlung angestrebt, also die Heilung. Dies kann eine Strahlentherapie sein oder eine radikale Entfernung mittels Operation.

Damit eine Operation sinnvoll ist, sollte die Lebenserwartung mindestens zehn oder besser 15 Jahre betragen. Denn es gibt Fälle, bei denen der Prostatakrebs nicht sehr aggressiv ist und nur langsam wächst. Es würde also bestenfalls für bis zu 10 Jahre die Lebensqualität kaum beeinträchtigt werden. Das Dilemma besteht darin, die rasch wachsenden Formen zu identifizieren und von den weniger aggressiven unterscheiden zu können. Soll eine Operation erfolgen, dann müssen die körperlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Dies bedeutet fit zu sein für den Eingriff und die Narkose, ohne Einschränkungen durch andere Leiden, wie beispielsweise Herz-Kreislauferkrankungen. Diese Voraussetzungen erfüllen die meisten Patienten.

 

Welche Faktoren bestimmen den Entscheid für eine Therapie?

Seifert: Neben der Messung des PSA-Wertes und der Tastuntersuchung der Prostata erlaubt insbesondere die Entnahme von Gewebeproben aus dem Tumor eine Aussage über die Aggressivität des Krebses. Die Gewebeprobe, die sogenannte Biopsie, gibt sehr präzise Informationen über Ausdehnung und Grad der Aggressivität des Prostatakarzinoms. Wichtige Informationen liefert auch die Magnet-Resonanz-Tomographie, das sogenannte MRT, welches vor jeder Biopsie (Gewebeentnahme) der Prostata heutzutage durchgeführt werden sollte. Das MRT liefert zuverlässig Informationen über die Anzahl und Grösse der Krebsherde in der Prostata, ob sich das Krebswachstum schon über die Prostata hinaus ausbreitet und ob es Hinweise für Lymphknotenabsiedlungen in der Umgebung gibt. Bei sich schnell verändernden Karzinomen sollte die Therapie zügig erfolgen. Hat das Karzinom bereits die äussere Prostatawand durchbrochen, oder sind Lymphknoten befallen, muss ebenfalls schnell reagiert werden. Bei den letzteren Fällen kann die Kombination von Operation und anschliessender, zusätzlicher Bestrahlung notwendig sein.

Jeder Krebspatient wird im am USB im Tumorboard diskutiert, an welchem Expert*innen aus allen beteiligten Fachdisziplinen teilnehmen. Dabei wird die individuell am besten passende Behandlung besprochen. Die Festlegung der Therapie sollte immer zusammen mit einem gut informierten Patienten geschehen. Es ist sehr wichtig, dass der Patient den Entscheid versteht und dahinterstehen kann.

 

«Eine Checkliste ist bei der Entscheidungsfindung sehr hilfreich, weil im Arztgespräch wichtige Fragen untergehen können.»

Prof. Helge Seifert

Warum wird nicht bei allen Betroffenen operiert?

Seifert: Es gibt Patienten, bei welchen der Prostatakrebs sich sehr langsam entwickelt und daher vorerst kein Eingriff vorgenommen werden muss. Der Prostatakrebs wird dann «aktiv überwacht» mittels regelmässiger Bestimmung des PSA-Wertes und MRTs, ggf. einer Kontrollbiopsie. Eine definitive Therapie erfolgt erst bei einem Fortschreiten der Krebserkrankung. Für manche Betroffene eignet sich die Bestrahlung besser, welche von der Krebsbekämpfung und Prognose her vergleichbar mit der Operation ist. Beide Therapieformen haben Nebenwirkungen und man muss immer die Vor- und Nachteile abwägen.

 

Welche Vorteile bringt eine Operation?

Seifert: Häufig kann durch die Operation die Heilung vom Prostatakrebs erfolgen. Zudem ergibt sich durch die operative Entfernung des Krebses ein exaktes Bild des Krebsgewebes und seiner Ausdehnung. Insbesondere kann nur die operative Entfernung der Lymphknoten zeigen, ob hier bereits eine Streuung des Krebses vorliegt. Diese Informationen ermöglichen bei einem Teil der Patienten eine Anpassung und Optimierung der Therapie. Das könnte dann bedeuten, noch zusätzlich eine Bestrahlung und/oder eine Hormontherapie hinzuzufügen.

Welche Nachteile können bei der Operation entstehen?

Seifert: Jeder Eingriff hat natürlich Risiken und Nebenwirkungen. Das sprechen wir an und klären den Patienten sehr offen auf. Für den Patienten sind Themen wie Harninkontinenz und Erektionsfähigkeit sehr wichtig. Heute erfolgen die Eingriffe hauptsächlich mit Unterstützung von Operationsrobotern. Diese Methode ist schonender und führt beispielsweise zu weniger Blutverlust und auch geringeren Schmerzen sowie fast nie zu Wundinfektionen. Schliesslich erholen sich die Patienten besser und sind auch schneller wieder zu Hause und im normalen Leben.

Eine dauerhafte Harninkontinenz kommt heute viel seltener vor als früher. Einschränkungen der Erektionsfähigkeit sind nicht selten, allerdings muss der Patient wissen, dass die Orgasmusfähigkeit in jedem Fall erhalten bleibt.

 

Was sollten Patienten bei der Entscheidung berücksichtigen?

Seifert: Zu berücksichtigen sind sicherlich Vor- und Nachteile eines Eingriffes, Nebenwirkungen sowie die Langzeitfolgen und Einflüsse auf die Lebensqualität. Eine Checkliste ist bei der Entscheidungsfindung sehr hilfreich, weil im Arztgespräch wichtige Fragen untergehen können. Die Patienten sollten sich im Vorhinein überlegen, welche Informationen für sie wichtig sind. Wir empfehlen auch allen Patienten für eine Zweitmeinung offen zu sein. Der Austausch mit anderen Betroffenen, beispielsweise in einer Selbsthilfegruppe, kann ebenfalls wertvoll für die Therapieentscheidung sein.

Letztlich ist der Entscheid für viele Patienten auch ein Bauchgefühl. Der Patient soll sich mit seiner Entscheidung wohl fühlen. Dazu ist auch ein gutes Vertrauensverhältnis zur Ärztin oder dem Arzt wichtig.

Journalist: Thomas Ferber
Datum: 28.10.2022