Sekundärer Immundefekt Krebs Therapiefolgen
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Sekundärer Immun­defekt bei Krebs: Ursachen, Diagnose, Therapie

Sekundärer Immundefekt Krebs Therapiefolgen Experte

PD Dr. med. Jeroen Goede
Chefarzt Hämatologie
Kantonsspital Winterthur

Bei bestimmten Blutkrebsformen kann ein sekundärer Immundefekt (SID) auftreten, der das Infektionsrisiko erhöht. PD Dr. med. Jeroen Goede erklärt, wie ein SID entsteht, diagnostiziert und behandelt wird – und welche Schutzmassnahmen Betroffene im Alltag ergreifen können.

PD Dr. med. Jeroen Goede, was ist ein sekundärer Immundefekt (SID) und wodurch entsteht er bei Krebspatient*innen?

PD Dr. Goede: In einem gesunden Körper wehren sogenannte Antikörper Eindringlinge wie Viren und Bakterien ab. Diese Antikörper werden von bestimmten weissen Blutzellen, den B-Lymphozyten und Plasmazellen produziert. Bei Blutkrebsformen wie den Lymphomen, der chronisch lymphatischen Leukämie und dem Multiplen Myelom ist die Erneuerung von B-Lymphozyten gestört und damit auch die Produktion von normal funktionierenden Antikörpern. Dadurch kommt es zu einem SID, einem sekundären Immundefekt. Sekundär übrigens, weil er im Gegensatz zu einer angeborenen Immunschwäche durch eine Erkrankung bedingt ist. Auch die Therapie der Blutkrebserkrankung kann einen SID auslösen oder verstärken.

 

Wie wird ein SID diagnostiziert?

Goede: Bei Verdacht wird Blut entnommen und im Labor werden die Antikörper bestimmt. Im typischen Fall findet sich dann eine relevante Minderung der verschiedenen Typen von Antikörpern (IgG, IgG-Subklassen, IgA, IgM). Wenn durch die Blutkrebserkrankung zusätzlich noch funktionsuntüchtige Antikörper produziert werden (Paraprotein), kann die Diagnose eines SID etwas erschwert sein.

Sekundärer Immundefekt Krebs Therapiefolgen

Welche medizinischen Möglichkeiten gibt es für die Behandlung eines SID?

Goede: Grundsätzlich ist eine Behandlung nur angebracht, wenn es vermehrt zu Infektionen kommt, wie beispielsweise schlimme Erkältungen oder gar Lungenentzündungen. Oft vermag der Organismus die Infektionen noch aus eigener Kraft ab wehren, selbst wenn zu wenig funktionstüchtige Antikörper vorhanden sind. Manchmal genügt auch ein schnelles Eingreifen mit der Gabe eines Antibiotikums. Hier spielt der Leidensdruck der Patient*innen eine wichtige Rolle. Wer sich an der Häufigkeit der Infektionen stört oder an teilweise schweren Infektionen leidet, entscheidet sich schliesslich für die Behandlung. Dann werden aus Blutspenden gewonnene, gereinigte und für die Behandlung konzentrierte Antikörper eingesetzt. Die Verabreichung geschieht ambulant mittels einer Infusion über mehrere Stunden. Beim ersten Mal muss mit einem Tag Spitalaufenthalt gerechnet werden.

Die Infusion wird anschliessend etwa vierwöchentlich wiederholt, jeweils mit einem Zeitaufwand von einem halben Tag. Dies kann für Betroffene zeitaufwendig sein. In gewissen Fällen und bei Eignung der Patient*innen können die Antikörper auch durch eine in der Haut liegende Kurzinfusion durch die Betroffenen selbst verabreicht werden. Diese Form erlaubt eine grössere Flexibilität. Schliesslich gibt es Patient*innen, die nur in den Wintermonaten Antikörper benötigen und im Sommer ohne auskommen.

 

Welche Alltagstipps haben Sie für Betroffene eines SID?

Goede: Es ist wichtig, dass die Patient*innen alle Standardimpfungen erhalten oder – wo nötig – aufgefrischt haben. Wir empfehlen zudem die Grippeimpfung sowie einen Impfschutz gegen die RS-Viren und die Pneumokokken. Diese können zu gefährlichen Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege führen. Die Pneumokokken können zudem die Hirnhäute befallen. Schliesslich ist auch eine Impfung gegen die Gürtelrose ratsam, damit schwere Krankheitsverläufe möglichst vermieden werden. Das Tragen einer Maske ist empfehlenswert, wenn ein Aufenthalt in Innenräumen mit vielen Menschen, im ÖV oder bei Massenveranstaltungen unausweichlich ist.

 

C-ANPROM/CH/CUVI/0086_03/2025

 

Journalist: Thomas Ferber
Datum: 30.04.2025