Umgang mit verändertem Körper
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Umgang mit dem veränderten Körper

Umgang mit dem veränderten Körper Eliane Sarasin

Dr. Eliane Sarasin
Gynäkologin und Sexualmedizinerin
Brustzentrum Zürcher Seefeld und Klinik Bethanien

Wenn sich der Körper durch Krebs oder Krebstherapien verändert, ist das für die meisten Betroffenen belastend. Man fühlt sich fremd in der eigenen Haut, findet sich vielleicht nicht mehr schön oder begehrenswert. Gleichzeitig fragt man sich, ob das Aussehen überhaupt eine Rolle spielen darf, wenn es doch um Leben und Tod geht. 

Mit Dr. Eliane Sarasin haben wir über diese Herausforderungen gesprochen und nach Strategien gesucht, wie man ihnen begegnen kann.

 

Dr. Sarasin, welche körperlichen Veränderungen entstehen im Zusammenhang mit Krebs?

Dr. Eliane Sarasin: Die Krankheit selbst ist in den meisten Fällen, zumindest in einem frühen Stadium, äusserlich nicht sichtbar. Meistens sind es die Therapien, die zu körperlichen Veränderungen führen. Diese können sichtbare Veränderungen wie Haarausfall, Gewichtszu oder -abnahme mit sich bringen, aber auch weniger offensichtliche Veränderungen wie Narben, einen künstlichen Darmausgang oder den Verlust oder die Rekonstruktion der Brust. Zusätzlich gibt es unsichtbare Veränderungen wie Geschmacksveränderungen, Taubheitsgefühle oder anhaltende Müdigkeit.

 

Körper verändern sich auch bei gesunden Menschen. Worin besteht der Unterschied zu Krebsbetroffenen?

Sarasin: Tatsächlich erleben wir alle im Laufe unseres Lebens körperliche Veränderungen, die mit dem natürlichen Alterungsprozess einhergehen. Diese Veränderungen sind nicht immer erwünscht, aber sie werden in der Regel als normal angesehen. Der entscheidende Unterschied besteht in der Geschwindigkeit dieser Veränderungen. Bei gesunden Menschen schreitet die Alterung langsam voran, und wir haben Zeit, uns allmählich an diese Veränderungen anzupassen. Im Gegensatz dazu treten körperliche Veränderungen bei Krebsbetroffenen teilweise plötzlich auf, ohne Vorwarnung. Dies macht es äusserst herausfordernd. Ein weiterer Aspekt ist, dass diese Veränderungen nicht im Einklang mit dem natürlichen Alterungsprozess oder der Lebensphase stehen. Plötzlich sieht der Körper älter aus, als man sich innerlich fühlt, und genau das macht die Situation unglaublich schwierig.

 

Welchen Einfluss haben die Veränderungen auf das eigene Körperbild?

Sarasin: Das Körperbild umfasst nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch die Bewertung unseres äusseren Erscheinungsbildes. Als Menschen neigen wir dazu, ständig und besonders selbstkritisch alles, was wir wahrnehmen, zu bewerten. Oft konzentrieren sich Betroffene sehr auf die durch die Veränderungen hervorgerufenen Unterschiede, während das, was unverändert geblieben ist, weniger Beachtung findet. Diese Veränderungen werden häufig negativ bewertet. Wenn man sich selbst und sein äusseres Erscheinungsbild negativ beurteilt, hat dies einen erheblichen Einfluss auf das Selbstbewusstsein. Man fühlt sich weniger wert als zuvor.

 

Darf man denn über das Aussehen reden, wenn es um das eigene Leben geht?

Sarasin: Selbstverständlich steht die Genesung im Vordergrund. Dennoch denke ich, dass es völlig in Ordnung ist, wenn Patient*innen Traurigkeit empfinden und Bedauern darüber verspüren, welchen Preis sie für ihre Gesundheit bezahlen müssen. Diese Gefühle sind absolut verständlich und es ist wichtig, sie zuzulassen.

 

Statt sich entwertet und unattraktiv zu fühlen, kann man darüber nachdenken, was man bereits durchgestanden hat und stolz darauf sein, wie der Körper alles bewältigt hat.

Dr. Eliane Sarasin

Wie kann man lernen, mit dem veränderten Körper umzugehen?

Sarasin: Oft verdrängen Betroffene Veränderungen an ihrem Körper. So verdecken sie zum Beispiel die Spiegel zu Hause, um sich nicht mit ihrem veränderten Erscheinungsbild auseinandersetzen zu müssen und vermeiden das Eincremen, um Narben nicht zu berühren. Damit reduzieren sie im Moment den Schmerz, der damit einhergeht. Doch dies hat einen Preis: Sie verlieren die Fähigkeit, positive Gefühle gegenüber ihrem Körper zu entwickeln. Es ist wichtig, den veränderten Körper bewusst wahrzunehmen, Gefühlen wie Trauer oder Wut Raum zu geben und allmählich Versöhnung zu finden. Regelmässiges Eincremen, besonders bei Narben, kann helfen, die neuen Konturen zu erkunden und wieder ein Gefühl für den eigenen Körper zu entwickeln. Es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Akzeptanz des veränderten Selbst.

 

Wie kann man lernen, die Veränderungen zu akzeptieren?

Sarasin: Um Veränderungen zu akzeptieren, kann es hilfreich sein, die Perspektive zu ändern. Statt sich entwertet und unattraktiv zu fühlen, kann man darüber nachdenken, was man bereits durchgestanden hat und stolz darauf sein, wie der Körper alles bewältigt hat. Der Fokus spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle. Man kann sich darauf konzentrieren, was sich verändert hat, oder darauf, was man an seinem Körper mag. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, was schon immer schön war und was man immer noch an sich schätzt.

 

Zum Schluss: Wie sollen Aussenstehende mit den körperlichen Veränderungen umgehen?

Sarasin: Es ist natürlich herausfordernd für die Menschen im Umfeld. Sollten sie etwas Nettes sagen? Sollten sie so tun, als ob nichts geschehen wäre? Mein Ratschlag hier ist mehr fragen als sagen. Zum Beispiel, «Wie geht es dir?» oder «Was ist gerade das Schwierigste für dich?» Auf diese Weise können die Betroffenen selbst entscheiden, ob sie über ihre körperlichen Veränderungen sprechen möchten. Ungefragte Kommentare im Allgemeinen halte ich nicht für besonders hilfreich.

Podcast Staffel "Körperliche Veränderungen" 

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Journalistin: Nadine Gantner
Datum: 16.10.2023