Angehörige von Lungenkrebsbetroffenen sind mitbetroffen
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Erfahrungsbericht

Wie Marc lernte, mit der Lungen­krebs- Diagnose seiner Mutter zu leben

“Ich wusste bei der Diagnose nicht, was Krebs bedeutet. Ich kannte das nur aus Filmen.” Marc ist 16 Jahre alt, als seine Mutter Kathrin die Diagnose Lungenkrebs erhält – im Endstadium. 

Es beginnt eine herausfordernde Zeit, geprägt von Trauer und Verdrängung, in der Marc einen Umgang mit der Krankheit seiner Mutter finden muss. Heute, acht Jahre später, spricht er offen darüber, wie der Krebs auch seinen Alltag, seine Sicht auf das Leben und seinen Umgang mit dem Tod geprägt hat.

 

Marcs  Geschichte

 

Marc steht am Beginn seiner Ausbildung als Automechatroniker, als seine Mutter über Schmerzen im Rippenbereich klagt und daraufhin das Spital aufsucht. Zunächst denkt niemand an etwas Ernstes – bis die Diagnose kommt. "Mein Vater und ich besuchten sie im Spital. Auf dem Weg dorthin meinte mein Vater, dass etwas nicht in Ordnung sei”, erinnert sich Marc.

Er hat kaum das Patientenzimmer seiner Mutter betreten, steht noch im Türrahmen, als seine Mutter von ihrer Diagnose erzählt: Lungenkrebs im metastasierten Stadium 4. – Der Krebs hat sich bereits im gesamten Lymphsystem ausgebreitet und die Knochen befallen. “Meine Mutter wollte das eigentlich ganz ruhig erzählen, ist dann aber in Tränen ausgebrochen.” Für Marc ist die Diagnose damals kaum fassbar. “Ich hatte bis zum damaligen Zeitpunkt noch keinerlei Berührungspunkte mit der Krankheit – zum Glück.”

 

Die ersten Monate – Zwischen Pragmatismus und emotionaler Distanz

Der Befund im Endstadium lässt wenig Raum für Hoffnung. Die ersten Monate nach der Diagnose sind für die Familie schwierig: "Wir haben viel geweint, aber ich selbst war sehr pragmatisch", sagt Marc. Für ihn steht fest: Seine Mutter würde nicht sterben – das ist damals keine Option für ihn. Das hilft Marc, die Situation rational zu bewältigen.

Damals erkennt er nicht, wie stark ihn die Diagnose in Wirklichkeit belastet: Er tut Dinge, die er im Nachhinein bereut, die ihm aus heutiger Sicht befremdlich scheinen. Doch fällt es ihm rückblickend schwer, seine Reaktion zu deuten: “Als Teenager macht man sowieso manchmal komische Dinge. Es ist heute schwer zu unterscheiden, was von der Diagnose kam und was einfach daran lag, dass ich 16 Jahre alt war und mich selbst noch finden musste.”

Marc ist bei der Diagnose seiner Mutter erst 16 Jahre alt

Die Diagnose beeinflusst das Familiengefüge nur bedingt. Marcs Mutter bleibt trotz der Krankheit aktiv und arbeitet weiterhin im gemeinsamen Familienbetrieb, was der Familie hilft, eine gewisse Normalität aufrechtzuerhalten. Er selbst übernimmt jedoch keine grosse zusätzliche Verantwortung: “Grundsätzlich muss ich lediglich wissen, was geschäftlich zu tun wäre, falls meine Mutter stirbt” – die Krankheit verändert so seinen Alltag nur bedingt.

 

Emotionale Belastung durch Rückschläge

In den Jahren nach der Diagnose kommt es immer wieder zu Rückschlägen. Eine Hirnoperation und ein Darmriss bringen die Krankheit immer wieder ins Bewusstsein. "Beim Rückfall im letzten Jahr hat es mich härter getroffen als beim ersten Mal", sagt Marc. "Ich war älter und habe die Situation anders wahrgenommen." Die emotionale Distanz der Anfangsjahre weicht einer bewussteren Auseinandersetzung mit der Realität. “Damals wie heute habe ich kein emotionales Bedürfnis, meine Geschichte zu teilen, doch es fällt mir mittlerweile sicherlich einfacher, darüber zu sprechen.”

 

Der Umgang mit dem Tod

Mit der Diagnose rückt für Marc das Thema Tod das erste Mal in sein Blickfeld. "Ich habe zum Glück noch nicht viele Menschen verloren. Durch meine Mutter wurde mir das erste Mal die Endlichkeit des Lebens bewusst” – was auch seine wertvollen Seiten hat: “Ich glaube, nach dieser Erfahrung kann mich nicht mehr viel emotional umwerfen", sagt er.

Die Diagnose hat ihn widerstandsfähiger gemacht, aber auch bewusster im Umgang mit Zeit und Beziehungen. "Ich weiss heute, dass nichts selbstverständlich ist. Menschen gehen – das gehört zum Leben dazu." Marc ist sich bewusst, dass seine Mutter wahrscheinlich nicht sehr alt wird: “Aber es hat keinen Sinn, sich jetzt schon damit zu beschäftigen. Wenn der Moment kommt, werde ich damit umgehen lernen müssen."

«Durch meine Mutter wurde mir das erste Mal die Endlichkeit des Lebens bewusst.»

Doch Kathrin steht noch voll im Leben: “So lange das so ist, gibt es keinen Grund, das Leben nicht zu geniessen. Man sollte die Zeit, die man hat, nicht in Trauer verbringen. Hoffnung und bewusste Lebensgestaltung sind wichtiger als die Angst vor der Krankheit."

 

Leben mit der Krankheit

Das Leben der Familie hat sich heute, acht Jahre nach der Diagnose, stabilisiert. Marcs Mutter erhält weiterhin regelmässige Kontrolluntersuchungen, doch der Alltag ist weitgehend normal. "Das Thema ist für mich in den Hintergrund gerückt – was nicht heisst, dass ich die Krankheit vergessen habe.”

Marc hat gelernt, mit der Krankheit seiner Mutter zu leben, ohne dass sie seinen Alltag bestimmt: “Die Diagnose selbst wird nicht einfacher, aber man lernt, damit umzugehen. Eine Diagnose im Endstadium muss nicht unbedingt das Ende sein. Es gibt Hoffnung – und solange die besteht, sollte man das Leben geniessen."

Journalistin: Paula Wollenmann
Datum: 28.04.2025