CLL Patientenkompetenz
Blutkrebs
Patientenkompetenz

«Gut informiert zu sein, reduziert das Gefühl der Hilf­losigkeit»

CLL Patientenkompetenz Expertin

Dipl. Psych. Birgit Maier
Psychologin und Psychoonkologin 
Klinik für Hämatologie Universitätsspital Basel

Eine Diagnose wie chronisch lymphatische Leukämie (CLL) bringt viele Unsicherheiten mit sich – besonders in der belastenden «Watch and Wait»-Phase. Eine informierte, selbstbestimmte Haltung kann helfen, Ängste zu bewältigen und das Gefühl der Kontrolle zu stärken. 

Die Psychoonkologin Birgit Maier vom Universitätsspital Basel erklärt, warum Wissen für CLL Patient*innen so wichtig ist – und wo auch Grenzen der Selbstbestimmung liegen.

 

Im  Gespräch  mit  Frau  Maier

 

Frau Maier, Sie begleiten Menschen mit chronisch lymphatischer Leukämie (CLL). Wie erleben Sie heute den Informationsstand und die Eigeninitiative von Patient*innen im Vergleich zu früher?

Birgit Maier: Das hat sich stark verändert. Heute sind die meisten Patient*innen deutlich besser informiert – sei es durch die Aufklärung der Ärzt*innen, durch das Internet oder durch Medienberichte. Gleichzeitig kann die Informationsflut auch überfordern oder verunsichern. Manche Patient*innen verzichten bewusst auf eigene Recherchen, weil sie sich durch widersprüchliche oder nicht einzuordnende Inhalte verunsichert fühlen. Deswegen sind unter anderem eine vertrauensvolle Beziehung zum behandelnden Ärzteteam und der Austausch in Selbsthilfegruppen so wichtig.

CLL Patientenkompetenz

Warum ist es so entscheidend, dass CLL-Betroffene gut über ihre Erkrankung informiert sind?

Maier: Weil informierte Patient*innen aktiver mitentscheiden und Verantwortung für sich übernehmen können. Gerade bei der CLL ist dies besonders relevant. Ein Teil der Patient*innen befindet sich zunächst in der «Watch and Wait»-Phase. Vom medizinischen Standpunkt aus gesehen ist es eine gute Nachricht, dass eine gezielte Therapie zunächst nicht notwendig ist. Emotional hingegen kann dieses Abwarten sehr belastend sein. Patient*innen müssen ihre Symptome gut beobachten und wissen, wann sie sich melden sollten. Dafür braucht es Wissen – und eine gute Begleitung.

 

Was bedeutet es konkret, als Patient*in selbstbestimmt zu sein – und wo liegen die Grenzen?

Maier: Selbstbestimmt zu sein heisst, sich aktiv mit der eigenen Erkrankung auseinanderzusetzen, sich zu informieren und Behandlungs- und Entscheidungswege bewusst mitzugestalten. Das gibt vielen Menschen ein Gefühl von Kontrolle und reduziert das Gefühl der Hilflosigkeit. Dieser Prozess wird auch als Empowerment bezeichnet.

Das Aktivieren eigener Ressourcen gehört ebenfalls zum Empowerment – so kann jede Patient*in ihren eigenen hilfreichen Umgang mit der Erkrankung finden. Das Bedürfnis nach Information und Mitentscheiden ist jedoch von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Manche Patient*innen überlassen Entscheidungen bewusst ihren behandelnden Ärzt*innen – und auch das ist ein selbstbestimmter Weg.

Kontrolle über die Erkrankung und ihren Verlauf zu haben, unterliegt Grenzen. Es liegt eine grosse Stärke darin, in Momenten, in denen es nötig ist, vertrauensvoll Kontrolle an Fachpersonen abzugeben.

Betroffene von chronisch lymphatischer Leukämie

Was können CLL-Betroffene tun, um aktiv mit der Erkrankung umzugehen?

Maier: Empowerment kann auf mehreren Ebenen stattfinden:

  • Medizinisch: Eine vertrauensvolle Beziehung zu den behandelnden Ärzt*innen aufbauen, Fragen stellen und Veränderungen im Gesundheitszustand aktiv ansprechen.
  • Emotional: Unterstützung von Psychoonkolog*innen nutzen, um einen hilfreichen Umgang mit den Unsicherheiten der «Watch and Wait»- Situation und den damit verbundenen Ängsten zu finden.
  • Sozial: Den Austausch mit anderen Betroffenen suchen – etwa in Selbsthilfegruppen –, um Erfahrungen zu teilen und Unterstützung zu erhalten.
  • Lebensstil: Mit Bewegung, gesunder Ernährung und achtsamen Routinen das eigene Wohlbefinden stärken.

 

Stichwort «Shared Decision Making» – Warum ist es für CLL-Betroffene so wichtig?

Maier: Ein zentraler Aspekt des Empowerments ist die aktive Beteiligung an medizinischen Entscheidungen. Genau hier setzt das Konzept des Shared Decision Making (SDM) an: Patient*innen und Ärzt*innen treffen Entscheidungen gemeinsam, indem sie verschiedene Therapieoptionen besprechen, deren Vor- und Nachteile abwägen und diese in den persönlichen Lebenskontext einordnen.

Gerade bei CLL, bei der nicht immer sofort eine gezielte Therapie notwendig ist, kann SDM helfen, Unsicherheiten zu reduzieren und das Gefühl der Kontrolle zu stärken. Während das Ärzt*innen-Team eine fachliche Empfehlung gibt, behalten Patient*innen die Möglichkeit, ihre individuellen Werte, Wünsche und Bedenken einzubringen – sodass die Entscheidung im besten Fall gemeinsam getroffen wird.

Was sind drei zentrale Tipps für CLL-Betroffene?

  1. Fragen, fragen, fragen
    Keine Scheu, alles anzusprechen, was unklar ist, verunsichert oder Angst macht.

  2. Hilfe annehmen
    Sei es psychologisch, sozial oder im Alltag.

  3. Das Leben geniessen
    Die CLL ist nur ein Teil davon. Der Spagat zwischen auf Körpersymptome achten («watch») einerseits und einem unbeschwerten Alltag auf der anderen Seite ist herausfordernd, kann aber gelingen.

Journalistin: Anna Birkenmeier
Datum: 05.05.2025