Fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom
Urologischer Krebs
Therapien

Fort­ge­schrittenes Nieren­zell­karzinom: Neue Therapien bringen verbesserte Aussichten

Fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom Expertin Dilara Akhoundova

Dr. med. Dilara Akhoundova
Onkologin und Oberärztin
Inselspital Bern

Rund 4 Prozent aller neu diagnostizierten Krebserkrankungen betreffen die Niere. Dank neuen Therapien wie den Tyrosinkinase-Hemmern und den Immuncheckpoint-Inhibitoren wurde die Überlebenswahrscheinlichkeit des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms in den vergangenen Jahren verdoppelt.

Dr. Dilara Akhoundova, was ist ein Nierenzellkarzinom (NZK)?

Dr. Dilara Akhoundova Es handelt sich um bösartige Neubildungen des Nierengewebes. Rund jede neue 25. Krebserkrankung betrifft ein Karzinom der Niere. Rauchen, starkes Übergewicht sowie hoher Blutdruck sind bekannte Risikofaktoren. Männer trifft es etwas häufiger als Frauen. Von den verschiedenen Formen wird das klarzellige Nierenzellkarzinom mit 80 % weitaus am häufigsten beobachtet, seltener sind sogenannte papilläre und chromophobe Nierenzellkarzinome.

 

Wann spricht man von einem fortgeschrittenen NZK?

Akhoundova: Fortgeschritten sind Karzinome, wenn sie Ableger in entfernten Organen, beispielsweise in der Lunge, dem Skelett, den Lymphknoten oder der Leber bilden. Seltener sind Karzinome, die zwar auf die Niere beschränkt, aber derart gewachsen sind, dass sie nicht im ersten Anlauf operiert werden können. Sie gelten als lokal fortgeschrittene Karzinome.

 

Was passiert bei Patient*innen, bei denen nicht primär operiert werden kann?

Akhoundova: In diesen Fällen wird der lokal fortgeschrittene Tumor mit einer systemischen Behandlung verkleinert. Bei gutem Ansprechen kann eine Operation re-evaluiert werden.

 

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es beim nicht-resektablen und metastasierten NZK?

Akhoundova: Es gibt mehrere Behandlungsformen: Es mag paradox klingen, doch bei Patient*innen mit niedrigem Risiko und wenigen Ablegern kann mit der Behandlung Monate bis eventuell Jahre zugewartet werden. Die Patient*innen werden in solchen Fällen engmaschig überwacht. Schreitet die Erkrankung fort, dann erfolgt eine Behandlung. Bestimmte Patient*innen in fortgeschrittenen Stadien mit wenigen Ablegern können auch von einer Operation oder Bestrahlung profitieren. Bei den meisten Betroffenen erfolgt hingegen eine Systemtherapie, eine Therapie die systemisch, d.h. überall im Körper wirkt, beispielsweise mit einem Tyrosinkinase-Hemmer (TKI). Diese Substanzen, die in Tablettenform eingenommen werden, blockieren zielgerichtet für das Krebswachstum wichtige Stoffwechselprozesse. Zu den Systemtherapien gehören auch Antikörper, die das Immunsystem gegen die Krebserkrankung aktivieren, sogenannte Immuncheckpoint-Hemmer. Bei Erkrankungen mit Risikofaktoren wird normalerweise als Erstbehandlung eine Kombinationsbehandlung mit zwei Medikamenten durchgeführt: TKI kombiniert mit einem Immuncheckpoint-Hemmer oder zwei unterschiedliche Immuncheckpoint-Hemmer.

Die Immuntherapie mit sogenannten Immuncheckpoint-Hemmern (engl. inhibitors, kurz ICI) hindert den Krebs daran, sich mit diesen Signalen vor dem Immunsystem zu verstecken. Das Immunsystem wird dadurch aktiviert und kann den Krebs besser bekämpfen.

Dr. Dilara Akhoundova

Also eine Immuntherapie zur Stärkung des Immunsystems?

Akhoundova: Körpereigene Zellen haben einen Schutzmechanismus, damit sie nicht vom Immunsystem attackiert werden. Hierzu verwenden die Zellen Signale, sogenannte Checkpoints, die dem Immunsystem ihre Zugehörigkeit zum Körper melden. Krebszellen nutzen diese Signale, um sich vor dem Immunsystem zu verstecken. Dadurch hat das Immunsystem keine Chance, die Krebszellen zu erkennen und zu beseitigen.

Die Immuntherapie mit sogenannten Immuncheckpoint-Hemmern (engl. inhibitors, kurz ICI) hindert den Krebs daran, sich mit diesen Signalen vor dem Immunsystem zu verstecken. Das Immunsystem wird dadurch aktiviert und kann den Krebs besser bekämpfen. Geht es um die Erstbehandlung, spricht man von «Erstlinien-Therapie». Zeigt die Therapie keine Wirkung mehr, dann können weitere Behandlungsmöglichkeiten zum Zug kommen.

 

Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, wenn die Erstlinien- Therapie nicht (mehr) anspricht?

Akhoundova: Auch in den weiteren Linien gibt es gut wirksame Alternativen. Wurde in der ersten Linie ein TKI eingesetzt, dann kann in der zweiten Linie eine Immuntherapie erfolgen. Umgekehrt kann auch nach einer Immuntherapie ein TKI eingesetzt werden.

 

Fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom 2

Wie ist die Prognose beim fortgeschrittenen NZK?

Akhoundova: Am besten ist die Prognose bei nicht fortgeschrittenen Formen. Hier überleben 93 % der Betroffenen die ersten fünf Jahre. Bei fortgeschrittenen Erkrankungsstadien gibt es günstigere und ungünstigere Verlaufsformen. Dank den TKI und den Immuncheckpoint-Inhibitoren hat sich die Überlebensprognose jedoch klar verbessert und liegt heute bei rund 15 %. Das schliesst allerdings nicht aus, dass es auch günstigere Verläufe geben kann.

 

Wie ist die Lebensqualität der Betroffenen während der Behandlung?

Akhoundova: Gegenüber älteren Therapien hat sich die Lebensqualität mit den neuen Behandlungsmethoden deutlich verbessert. Allerdings sind auch diese Therapien nicht frei von Nebenwirkungen. Bei den TKI können dies unter anderem Müdigkeit oder Magen-Darm-Störungen sein. Bei den ICI gibt es viele Patient*innen, die vergleichsweise wenige Nebenwirkungen verspüren. Allerdings können immunvermittelte Nebenwirkungen auftreten, die vielfältig und zum Teil sehr schwerwiegend sein können. Diese umfassen Entzündungen in verschiedensten Organen. 

 

CBZ-CH-000452, 09/2023

Journalist: Thomas Ferber
Datum: 01.11.2023