Gemeinsam durch Dick und Dünn. Die Paarbeziehung als Kraftquelle bei einer Krebserkrankung.
Eine Krebserkrankung stellt nicht selten eine Zerreissprobe für die Beziehung dar. Wer die eigenen Paar-Ressourcen zu stärken und nutzen weiss und die Herausforderung gemeinsam angeht, kann das schwere Schicksal besser bewältigen.
Prof. Bodenmann im Gespräch
Prof. Bodenmann, gibt es überhaupt Partnerschaften, die durch eine Krebserkrankung nicht negativ beeinflusst werden?
Das ist schwer vorstellbar. Eine Krebsdiagnose erschüttert nicht nur die betroffene Person, sondern die Paarbeziehung insgesamt. Es ist für beide Partnerinnen* eine bestürzende Neuigkeit, welche das Leben beider zu einer Neuorientierung zwingt. Die gewohnte Routine und die bisherige Lebensführung werden in Frage gestellt. Es sind hohe Anpassungsleistungen gefordert, die einem auf einmal aufgezwungen werden. Somit ist immer ein negativer Effekt zu erwarten. Dieser kann sich für das Paar jedoch als positiv erweisen, wenn es den Partnerinnen gelingt, durch die Erkrankung zusammenzuwachsen, gemeinsame Stärken wieder zu entdecken und die Krise als Chance zu nutzen.
*Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit sind alle Bezeichnungen nur in der weiblichen Form angegeben. Selbstverständlich sind aber alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen.
Was sind die grössten Stressfaktoren für eine Beziehung bei einer Krebserkrankung?
Die Erkrankung selbst bedeutet enormen Stress für das Paar. Die Diagnose ist niederschmetternd, kommt oft aus heiteren Himmel. Sie verändert das persönliche, familiäre, soziale und berufliche Leben. Alles muss neu geordnet werden. Die Diagnose geht entsprechend häufig mit Angst und Unsicherheit, Erschütterung, depressiver Verstimmung und Hilflosigkeit einher. Und zwar bei beiden Partnerinnen gleichermassen, wie Studien zeigen. Zu wissen, dass der Mensch, den man liebt, schwer krank ist, belastet schwerwiegend. Man sorgt sich, hat Zukunftsängste und hadert mit dem Schicksal. Hinzu kommt die Belastung durch die Behandlung, die Befürchtungen bezüglich Verlauf und Ausgang der Erkrankung, der Stress im Alltag, den man nun alleine bewältigen muss und der sich zum krankheitsbedingten Stress dazu addiert.
Was wird von der gesunden Partnerin erwartet?
Von der gesunden Partnerin erwartet man vor allem Unterstützung. Sie soll dem Erkrankten zur Seite stehen, ihn psychisch beistehen, ihn aufmuntern, durch die schwere Zeit tragen. Dabei vergisst man häufig, dass es auch der Partnerin in diesen Situationen schlecht geht, dass auch sie selbst Unterstützung benötigen würde. Diese Sicht vom «Kranken» und «Gesunden» entspricht nicht der gelebten Realität. Beide leiden unter der Erkrankung, für beide bedeutet es eine äussert schwierige Zeit, beide sind in hohem Masse gefordert.
Welche Auswirkungen können solche Erwartungen haben?
Sie sind in den meisten Fällen überfordernd und werden den Vorstellungen der Partnerin nicht gerecht. Es ist eine Mammutaufgabe, die Kraft und Energie aufzubringen, nun alles alleine zu tragen. Hier sollten realistische Erwartungen geäussert und der gesunden Partnerin gezeigt werden, dass man auch ihre Lage versteht, dass man auch ihre Not wahrnimmt.
Was wird im Gegenzug von der erkrankten Partnerin erwartet?
Von ihr wird meist erwartet, dass sie sich kämpferisch der Krankheit stellt und sich nicht unterkriegen lässt. SIe soll stark und zuversichtlich sein. Doch auch diese Erwartung ist zu hoch gegriffen. Der Einschnitt ins bisherige Leben ist gross. Es gilt, die Patientin behutsam zu begleiten, ihr Perspektive und Mut zu geben, ihr bei der Bewältigung der diversen Gefühle zu helfen. Die eigene Angst und Niedergeschlagenheit, die Sorgen um die Kinder, den Partner, aber auch Schuldgefühle gegenüber diesem, der nun mehr zu tragen hat. Es geht darum, die Paar-Ressourcen zu stärken, dem Paar Möglichkeiten des gemeinsamen Kampfes gegen die Erkrankung aufzuzeigen. Denn beide haben auch weiterhin Ressourcen. Man sollte sich gemeinsam der Herausforderung stellen.
Gibt es einen Erfahrungswert, wie die Erkrankung als Paar am besten angegangen werden sollte?
Eine dänische Studie gibt hierzu spannend Auskunft. Sie zeigt, dass die Unterstützung der Partnerin und die Möglichkeit der Patientin, dem anderen Aufgaben zu delegieren sowohl für das Befinden wie auch die Partnerschaftszufriedenheit beider ungünstig ist. Am besten erwies sich die gemeinsame Bewältigung, sowohl auf der praktischen als auch auf der emotionalen Ebene. Es gilt, die beiden Partnerinnen in ihre Kraft als Paar zu führen, ihnen zu zeigen, dass sie nicht als Einzelkämpferinnen mit der Belastung fertig werden müssen, sondern dass sie zusammenstehen, die Erkrankung als gemeinsame Herausforderung definieren und sich ihr als Paar stellen können. Das schwere Schicksal gemeinsam zu tragen, ist entlastend für beide.
Wie können beide Seiten für eine funktionierende Beziehung beitragen?
Beide Partnerinnen sind gefragt. Sie sollen sich austauschen, über ihre Ängste, Sorgen und Nöte miteinander sprechen, sich zuhören, gegenseitig stützen und stärken und sich ihrer Kraft als Paar bewusstwerden.
Datum: 26.09.2022