Bei Krebs kommt Gewichtszunahme und Gewichtsverlust oft vor
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Gewichts­verlust und -zunahme bei Krebs

Expertin für Ernährung bei Krebs vor allem zu Gewichtsverlust und Gewichtszunahme

Christina Gassmann
Fachverantwortliche klinische Ernährung und
Stv. Leiterin Ernährungsberatung/-therapie
Universitätsspital Zürich

Eine Krebserkrankung hat auch Auswirkungen auf den Stoffwechsel: «Es ist wie Hochleistungssport und der Körper gerät schnell in ein Kaloriendefizit», sagt die medizinische Ernährungsberaterin Christin a Gassmann im Interview. Die Folge: Gewichtsverlust. Manche Krebstherapien führen aber auch zu Gewichtszunahme.

Im  Gespräch  mit  Christina  Gassmann

 

30–80 Prozent der Krebspatient*innen sind von Gewichtsverlust betroffen, nur ein Bruchteil von ihnen wird behandelt. Weshalb?

Christina Gassmann: Gewichtsverlust und Mangelernährung sind bei Krebs und anderen chronischen Krankheiten ein grosses Problem, dem bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Man geht davon aus, dass nur 10 Prozent der Betroffenen richtig behandelt werden. Anders als vielleicht vermutet, ist Gewichtsverlust und Mangelernährung nicht nur bei schlanken Patient*innen ein Problem, sondern auch Übergewichtige sollten bei einer Krebserkrankung kein Gewicht verlieren. Der Grund: nicht die Fettdepots schmelzen, sondern vielmehr werden Muskeln abgebaut.

 

Welche Folgen kann dieser Muskelabbau haben?

Gassmann: Die Patient*innen sind geschwächt und das Risiko steigt, dass Therapien schlechter vertragen also mit mehr Nebenwirkungen verbunden sind. Ebenso erhöht sich das Risiko für weitere Komplikationen und beeinflusst die Lebensqualität.

Weshalb verliert man bei Krebs überhaupt an Gewicht?

Gassmann: Dafür gibt es verschiedene Ursachen. Einerseits verändert sich bei einer Krebserkrankung der Stoffwechsel: es wird mehr Protein gebraucht und der Körper befindet sich konstant wie in einem Stressmodus. Andererseits kommen häufig Ernährungsprobleme wie verminderter Appetit, Geschmacksveränderungen und -verlust, Übelkeit und Schmerzen dazu. Diese Kombination von erhöhtem Bedarf und tieferer Zufuhr kann schlussendlich zum ungewollten Gewichtsverlust führen.

 

Welche Rolle spielt die psychische Komponente?

Gassmann: Die emotionale und psychische Verfassung wirkt sich ebenfalls auf den Appetit aus. Angst, Anspannung und Sorgen führen bei vielen Menschen zu Appetitlosigkeit.

 

Zugleich stelle ich mir vor, dass die Gewichtsabnahme psychisch stark belastet – vor allem, wenn sie nicht behandelt wird und die Betroffenen damit alleine gelassen werden. Was raten Sie?

Gassmann: Leider gehört es noch immer nicht zum Standard, dass Krebspatient*innen bei Problemen an eine medizinische Ernährungsberatung überwiesen werden. Deshalb rate ich, bei Problemen unbedingt frühzeitig proaktiv nach einer geschulten Ernährungsberatung zu verlangen. Viele Betroffene suchen im Internet nach Antworten und stellen dann ihre Ernährung um. Das kann negative Folgen haben, denn viele Patient*innen stossen dabei auf präventive Krebs-Ernährungsformen mit viel Gemüse und wenig Fleisch.

«Bei einem Gewichtsverlust infolge einer Tumorerkrankung ist hingegen genau das Gegenteil wichtig: Viel Protein, also täglich Fleisch, Fisch, Eier, Käse etc. um den erhöhten Protein- und Kalorienbedarf zu decken, ist häufig quasi das Gegenteil einer gesunden Ernährung sinnvoll.»

Christina Gassmann

Dabei hilft es, das zu essen, was am besten geht. Ebenso sind regelmässige Zwischenmahlzeiten sinnvoll, vor allem ein proteinreicher Spätimbiss vor dem Zubettgehen.

 

Weshalb ist Protein ein so elementarer Bestandteil in der Ernährung von Krebspatient*innen?

Gassmann: Für Kohlenhydrate und Fette gibt es im Körper Speicher, für Proteine hingegen gibt es kein eigentlicher Speicher. Wird dem Körper nicht genügend Protein zugeführt, baut er Muskeln ab. Durch die Krebserkrankung braucht man rund 50 Prozent mehr Protein. Die Zufuhr von Fett und Kohlenhydraten ist auch wichtig, jedoch vor allem als Energielieferanten.

 

Ist eine vegetarische oder vegane Ernährung während einer Krebserkrankung möglich?

Gassmann: Eine vegetarische Ernährung ist grundsätzlich besser möglich, eine vegane hingegen eine grössere Herausforderung und entsprechend eine enge Begleitung durch eine Fachperson empfehlenswert.

Gewichtsverlust und Gewichtszunahme beeinflussen Krebsbetroffene stark

Was halten Sie von Nahrungsergänzungsmitteln?

Gassmann: Proteinshakes und andere High Protein Produkte sind sogar eine sinnvolle Ergänzung, um den Bedarf zu decken. Bei Nahrungsergänzungsmitteln, Vitaminen und Mikronährstoffpräparaten ist allerdings Vorsicht geboten: Sie können sich negativ auf die Therapie auswirken und müssen deshalb unbedingt mit einer Fachperson abgesprochen werden.

 

Wir haben viel über Gewichtsverlust gesprochen – gibt es auch Patient*innen, die durch ihre Krebserkrankung zunehmen?

Gassmann: Ja! In diesem Fall führen vor allem Therapien und Medikamente zur Gewichtszunahme, ebenso kann Bewegungsmangel infolge von Müdigkeit ein Faktor sein. So sind zum Beispiel bis zu 50 Prozent der Brustkrebspatientinnen durch die Behandlung mit Chemotherapie, Hormonen und Steroiden von einer Gewichtszunahme betroffen. Ebenso kann dadurch die Menopause beeinflusst oder verfrüht und durch die veränderte Hormonsituation eine Gewichtszunahme begünstigt werden. Daneben können Krebstherapien auch zu Wassereinlagerungen und dadurch vermeintlicher Gewichtszunahme führen.

«Bei vielen Betroffenen reguliert sich das Gewicht wieder nach Beendigung der Therapien.»

Christina Gassmann

Welche psychischen Auswirkungen können die extra Kilos auf die Betroffenen haben und wie kann das Gewicht reguliert werden?

Gassmann: Eine Gewichtszunahme infolge der Krebserkrankung kann psychisch belastend sein, auch wenn sie gesundheitlich unproblematisch ist, vorausgesetzt es handelt sich nur um einige Kilos. Ich rate auch hier zu einer frühzeitigen Begleitung und ebenfalls einer Ernährung mit genügend Protein. Zugleich sollte man versuchen, sich regelmässig zu bewegen und sich nicht zu sehr stressen lassen von den Extrakilos. Denn, bei vielen Betroffenen reguliert sich das Gewicht wieder nach Beendigung der Therapien.

Medizinisch ausgebildete Ernährungstherapeut* innen findet man beim Berufsverband:

www.svde-asdd.ch

 

 

Anna Birkenmeier
Datum: 30.04.2024