Hirntumor Operation Wachzustand Blumenwiese
Hirntumor
Therapien

Hirn­tumor­operation im Wach­zustand – das Miteinander entscheidet über den Erfolg

Hirntumor Operation Wachzustand Pasquale Calabrese

Prof. Dr. Pasquale Calabrese
Neuropsychologe
Abteilung für Neuropsychologie und Verhaltensneurologie
Universität Basel

Schon Ende des 19. Jahrhunderts wusste man, dass das Hirn schmerzunempfindlich ist und sich deshalb für Operationen im Wachzustand des Patienten eignet. 

Prof. Dr. Calabrese vom Universitätsspital Basel arbeitet seit über 30 Jahren mit diesem Operationsverfahren und hat schon mehrere hundert Patient*innen, die nach dieser Methode operiert wurden, in seiner Funktion als Neuropsychologe begleitet. Er sagt allerdings auch: «Nicht für alle Betroffenen eignet sich die Wachoperation.»

 

Am Universitätsspital Basel werden jährlich rund 12 Hirntumoroperationen im Wachzustand des Patienten durchgeführt. Wann ist eine solche Operation angezeigt?

Prof. Calabrese: Eine Hirntumoroperation im Wachzustand ist dann angezeigt, wenn der Tumor Regionen befallen hat, die relevant sind fürs Denk,- Sprech-, und Sehvermögen. Ebenso wenn der Tumor in Regionen infiltriert hat, die das Handeln und die Wahrnehmung einschränken können. Im Wachzustand können wir sehr viel feiner auf Veränderungen während der Tumorentnahme achten, weil wir mit Hilfe von neuropsychologischen Tests rasch feststellen können, wenn sich die Wahrnehmung, das Denken oder die Empfindung verändert. 

 

Nicht alle Patient*innen eigenen sich für eine Operation im Wachzustand. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Prof. Calabrese: Nicht bei jedem Hirntumor kann dieses Operationsverfahren angewendet werden. Es wird vorwiegend bei Tumoren in der Nähe von sprachbzw. denk- oder bewegungsrelevanter Hirnregionen durchgeführt. Ebenso eignet sich die Operation nicht für Patient*innen mit einer psychischen Instabilität oder mit hoher  Ängstlichkeit. Zudem muss der Patient genug Kraft für die Operation haben. Wir prüfen die individuellen Faktoren jedes Patienten sehr genau und entscheiden dann gemeinsam im Team.

 

Die Kooperation des Patienten/ der Patientin ist entscheidend für den Operationserfolg. Wie werden die Patient*innen optimal vorbereitet?

Prof. Calabrese: Die Patienten werden bereits im Vorfeld neuropsychologisch beurteilt und für die Tests während der Operation im Vorfeld intensiv vorbereitet. Wir klären sie sehr genau darüber auf, was von ihnen erwartet wird, so dass während der Operation keine überraschenden oder unerwarteten Situationen eintreten. Hierzu gehört beispielweise, dass während der Operation verschiedene Ausfälle provoziert werden, was von unvorbereiteten Patienten als sehr beängstigend wahrgenommen werden kann. Denn nur wenn der Patient kooperiert und Vertrauen in uns hat, haben wir am Schluss ein bestmögliches Ergebnis. In den Operationsprozess ist ein interdisziplinäres Team aus spezialisierten Neurochirurgen, Neuropsychologen, Anästhesisten, Neurologen, Neuroradiologen, Pflegefach,- und Lagerungspflegefachpersonen involviert.

Denn nur wenn der Patient kooperiert und Vertrauen in uns hat, haben wir am Schluss ein bestmögliches Ergebnis.

Prof. Calabrese

Wie läuft die Operation konkret ab?

Prof. Calabrese: Nachdem im Vorfeld der Operation eine ausführliche neuropsychologische Abklärung erfolgt ist, werden vor der Operation nochmals verschiedene, auch bildgebende, Untersuchungen gemacht. Der Patient wird dann lokal betäubt und sediert, sein Kopf wird in einer Halterung fixiert und die Schädeldecke wird eröffnet. Sobald die Hirnoberfläche freigelegt ist, erwacht der Patient langsam aus der Sedierung. Dann folgt der Programmablauf: Während vom Neurochirurgen verschiedene Hirnareale mit einem nicht wahrnehmbaren elektrischen Strom stimuliert werden, führt der Neuropsychologe die vorbereiteten Aufgaben mit dem Patienten durch und überprüft ständig, wie sich die Stimulation auf die Sprache, Bewegung und das Gedächtnis auswirkt. Abhängig davon kann Hirn- bzw. Tumorgewebe entfernt werden oder muss belassen werden.

 

Für den Neurochirurgen beginnt hier der Balanceakt – einerseits muss möglichst viel Tumormasse entfernt werden, andererseits sollen die Funktionen erhalten bleiben. Wie gehen Sie hier vor?

Prof. Calabrese: Wir wissen vor der Operation nicht genau, was uns erwartet und wieviel vom Tumor tatsächlich entfernt werden kann. Die Wachoperation bietet die Möglichkeit, das Tumorvolumen maximal zu reduzieren und dabei gleichzeitig relevante Hirnfunktionen zu schonen. Dabei tasten wir uns sehr vorsichtig voran und berücksichtigen immer die individuellen Begebenheiten des Patienten. Nach der Tumorentfernung wird der Patient wieder sediert und die Schädeldecke verschlossen. Der Patient wird in der Folge engmaschig untersucht und seine Funktionen überprüft. 

 

Welche Rückmeldungen bekommen Sie?

Prof. Calabrese: Als sehr positiv wird das aktive Mitentscheiden und Mitsteuern im ganzen Operationsprozess empfunden. Die Zufriedenheit ist gross und viele Patienten berichten von einer Rückkehr in ein normales Familien- und Berufsleben. 

 

Wie hoch ist das Risiko der Wachoperation?

Prof. Calabrese: Das kann so pauschal nicht beantwortet werden und hängt massgeblich davon ab, wo der Tumor sitzt. In jedem Fall erfordert die Operation ein Maximum an Konzentration und an Können seitens der Fachleute und ein Maximum an Kooperationsfähigkeit von Seiten des Patienten. Wenn beides gegeben ist, kann das Risiko stark minimiert werden. 

 

Kann die Operation im Fall eines erneuten Tumorwachstums wiederholt werden?

Prof. Calabrese: Das ist grundsätzlich möglich. Wir haben bereits einige Patienten nachoperiert. Unser oberstes Kriterium ist, die postoperative Lebensqualität zu erhalten. 

 

Weitere Informationen können beim Hirntumorzentrum des Unispitals Basel gefunden werden: www.unispital-basel.ch/tumorzentrum

Journalistin: Anna Birkenmeier
Datum: 26.09.2022