Ein Kreis, der sich schliesst
Kathrin (54) lebt seit acht Jahren mit der Diagnose Lungenkrebs. Ihre Krankheitsgeschichte hat ihre Sichtweise auf ihr Leben und den Tod verändert. Sie teilt ihre Geschichte – auch, um anderen Betroffenen zu helfen.
Kathrins Geschichte
Wenn Kathrin spricht, zieht sie jeden in ihren Bann. Ihre positive Art und die Energie ihrer Worte berühren. Nichts lässt erahnen, welche gesundheitlichen Herausforderungen sie bereits gemeistert hat: Mit 24 Jahren erhält Kathrin die Diagnose Multiple Sklerose. Glücklicherweise verläuft die Krankheit bei ihr wenig aggressiv . Sie hat im Laufe der Jahre zum Glück nur wenig Schübe er leiden müssen, welche grösstenteils komplett wieder abgeklungen sind. Sie liess dem Thema «MS» nicht viel Raum. Gegen Ende 2016 kommt der nächste Schock: Lungenkrebs im metastasierten Stadium 4. Als der Krebs entdeckt wird, hat er sich bereits im gesamten Lymphsystem ausgebreitet und die Knochen befallen. «Die Diagnose hat meiner Familie und mir den Boden unter den Füssen weggezogen. Mein Sohn hatte im Sommer gerade seine Lehre begonnen und wir waren mitten in einer Firmenübernahme. Ich hatte keine Zeit zu sterben», erzählt Kathrin schmunzelnd.
«Ich hatte keine Zeit zu sterben.»
Die passende Therapie finden
Sie war fest dazu entschlossen, alles Nötige zu unternehmen, um möglichst viel Zeit «herauszuschlagen». Schliesslich wollte sie noch möglichst lange für ihre Familie da sein und zusätzlich gewisse Dinge regeln. Eine Immuntherapie kam jedoch aufgrund der Multiplen Sklerose nicht in Frage. Es begann damals eine schwierige und sehr herausfordernde Zeit, geprägt von zahlreichen Untersuchungen und dem dumpfen Gefühl vom Ende des Lebens. Aufgrund einer festgestellten ALK-Mutation in den Krebszellen wurde für Kathrin eine zielgerichtete Therapie möglich. Ein Glückstreffer. Die Behandlung war so erfolgreich, dass Anfang 2018 der Tumor in der Lunge entfernt werden konnte. Ab da galt Kathrin als tumorfrei, ihr Medikament musste sie jedoch weiterhin einnehmen, da dieses ein erneutes Wuchern der Zellen verhinderten. Eine Not-OP am Darm im Frühling letzten Jahres bewog Kathrin dazu, ihr Medikament, nach Rücksprache mit ihrem Arzt, ein paar Monate abzusetzen, um etwas «Ruhe ins System» zu bringen. Leider führte das Weglassen dieses «Schlüssels» dazu, dass der Krebs zurückkam, und zwar im Kopf. Kathrin musste die grösste Metastase, welche am meisten Probleme machte, entfernen lassen. Die restlichen kleineren Metastasen schmolzen dank ihres Medikaments, welches sie umgehend nach der Diagnose wieder einnahm, fast komplett weg. Es war eine schlechte Idee, das Medikament abzusetzen. Mittlerweile hat sich Kathrin jedoch wieder gut erholt.
Kathrin lebt im Hier und Jetzt
Ausbildung zur freien Trauerrednerin als Start in ein neues Kapitel
Seit ihrer Krebsdiagnose setzt sich Kathrin noch intensiver mit dem Thema Tod auseinander – nicht zuletzt, weil diese Zeit zusätzlich durch den Verlust ihrer Mutter geprägt wird. Nach der damaligen Abschieds-Zeremonie fasst Kathrin den Entschluss, Trauerrednerin zu werden: «Die Zeremonienleiterin war schrecklich. Sie hat vor, während und auch nach der Trauerfeier sehr viele Dinge falsch gemacht. Ich dachte mir, dass ich das besser kann. Mit dem Thema Tod, Bestattung und Trauer war ich, nicht zuletzt auch wegen meines beruflichen Wegs, ohnehin schon vertraut.»
Kathrin liegt es am Herzen, sich in das Wesen der verstorbenen Person einzufühlen und deren Leben und Charakter während der Zeremonie noch einmal lebendig werden zu lassen. Dies möchte sie in ihrer neuen Berufung als Trauerrednerin umsetzen. Die Ausbildung zur Trauerrednerin half Kathrin ausserdem, die schwere Zeit besser zu bewältigen: «Ich fühlte mich in unserer Ausbildungsgruppe sehr wohl, da viele Teilnehmer*innen ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. «Für diese Menschen sind Tod und Krankheit kein Stigma», erklärt sie.
«Heute sehe ich den Tod als einen natürlichen Teil des Lebens, welcher nicht verdrängt, sondern akzeptiert werden muss.»
«Früher hatte ich grosse Angst vor dem Tod. Beim Thema <eigene Vergänglichkeit> bekam ich ein sehr dumpfes Gefühl in der Brust und im Bauch», erinnert sich Kathrin. «Als ich die Krebsdiagnose bekam, war ich wütend und fragte mich, warum ausgerechnet ich betroffen bin. Gleichzeitig spürte ich das Bedürfnis, alles für meinen Tod zu regeln.» Doch mit der Zeit lernte Kathrin, diese Gedanken loszulassen: «Ich habe mich entschieden, meine Energie auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Heute sehe ich den Tod als einen natürlichen Teil des Lebens, welcher nicht verdrängt, sondern akzeptiert werden muss. Er sollte in der Gesellschaft enttabuisiert werden. Früher hatte man ein natürlicheres Verhältnis zum Tod und heute wird er oft als Schreckgespenst betrachtet, obwohl er wohl oder übel zum Leben gehört.»
Kathrin mit ihrem Hund im Wald
Gegenseitige Unterstützung
Kathrin ist Mitglied im Verein «Leben mit Lungenkrebs». Tod und Sterben sind kaum ein Thema, der Fokus der Gespräche untereinander liegt auf dem Leben und Überleben. Der Verein gibt Kathrin Halt und Kraft: «Was ich besonders schätze, ist die gemeinsame Ebene, auf der man sich bewegt.»
Kathrin hat ihre Ausbildung zur Trauerrednerin abgeschlossen und wartet nun auf die erste Gelegenheit, eine Zeremonie zu leiten. Mit ihren Tipps und ihrer Geschichte möchte sie anderen Betroffenen etwas weitergeben, ihnen Mut machen, nicht aufzugeben: «Meine Überlebenschancen waren gering, und dennoch: Ich bin noch da, mein Buch ist noch nicht zu Ende geschrieben. Der Krebs wird mich bis zum Schluss begleiten. Mit meiner Erkrankung und dem Gedanken ans Sterben habe ich aber Frieden geschlossen.»
Datum: 15.10.2024