
Künstliche Intelligenz in der Onkologie: Chancen und Zukunftsperspektiven

Künstliche Intelligenz (KI) könnte die Zukunft der Krebsbehandlung verändern – von genaueren Diagnosen bis hin zu personalisierten Therapien. Alexander Ring erklärt, wie KI bereits heute in der Onkologie hilft und welche spannenden Chancen und Herausforderungen noch bevorstehen.
Alexander Ring, welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz aktuell in der Onkologie?
Ring: Momentan wird KI in der Onkologie vor allem als Assistenzsystem genutzt. Im Alltag der Ärzt*innen spielt sie noch keine grosse Rolle, aber sie hilft schon bei der Datenaufbereitung und Diagnostik, vor allem in Bereichen wie Radiologie, Pathologie und Dermatologie.
In der Radiologie unterstützt KI zum Beispiel bei der Verarbeitung der riesigen Bilddatenmengen und hilft dabei, wichtige Informationen schnell rauszufiltern – eine Aufgabe, die für Menschen kaum noch zu schaffen ist oder extrem viel Zeit kosten würde. Auch in der Pathologie nutzt man KI, zum Beispiel um den Tumorzellgehalt in Biopsien zu bestimmen. Dermatologen wiederum setzen KI-Tools zur Analyse von Hautläsionen ein, um diese auf ihre Bösartigkeit zu überprüfen. Diese Tools liefern dann eine erste Einschätzung, die von den Fachleuten noch überprüft wird.
Insgesamt erleichtert KI den Ärzt*innen die Arbeit, macht Diagnosen genauer und schneller – aber sie bleibt eben ein unterstützendes System, ähnlich wie ein Fahrassistenzsystem im Auto.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft – in welchen Bereichen sehen Sie das grösste Potenzial für KI in der Krebsdiagnostik und -therapie?
Ring: Die Krebsbehandlung geht immer mehr in Richtung Präzisionsonkologie. Das heisst, wir versuchen, die einzelne Patient*in und ihre Krankheit immer besser zu verstehen und sie individuell zu behandeln. Dafür braucht man eine riesige Menge an Daten, wie Bilder, molekulare Analysen und biometrische Daten. Diese ganzen Daten zu verarbeiten und Muster zu erkennen, wird für Menschen immer schwieriger.
Zum Beispiel haben wir hier am USZ ein Projekt gemacht, bei dem wir gezeigt haben, dass Onkolog*innen aus mehr als 40.000 Datenpunkten pro Patient nur etwa 1 % tatsächlich nutzen. Das zeigt, wie schnell man bei solchen Datenfluten an seine Grenzen stösst. Genau da kann KI helfen. Sie ist super darin, grosse, komplexe Datensätze zu verarbeiten und Muster zu finden, die für genauere Diagnosen und individuellere Behandlungen sorgen können. Ein weiteres spannendes Feld ist die Früherkennung. Eine Google-Studie hat gezeigt, dass ein KI-Algorithmus Lungenkrebs-Screenings bei Raucher*innen genauer auswerten konnte als Radiolog*innen, indem er falsch-positive und falsch-negative Diagnosen reduzierte. In Zukunft könnte solche Technologie helfen, frühzeitig Risiken einzuschätzen.
Auch in der Medikamentenentwicklung geht einiges voran. Besonders bei der Proteinanalyse stösst man ohne KI an seine Grenzen, da die Suche nach passenden Wirkstoffmolekülen bisher mühsame Handarbeit war. Aber nun geht es in neue Richtungen, denn die KI kann ohne menschliches Zutun von Grund auf Wirkstoffmoleküle entwickeln, die zu einer Proteinstruktur passen. Wir werden in der Zukunft sicher grosse Fortschritte bei der Entwicklung effizienterer Medikamente sehen. Das Ganze steckt aber noch in den Anfängen. Bevor solche Systeme wirklich in der Praxis eingesetzt werden können, müssen sie von den Behörden zugelassen werden. Aber der Einsatz von KI in der Krebsdiagnostik und -therapie wird in naher Zukunft definitiv zunehmen.

Werden Therapieentscheide in Zukunft durch Maschinen statt Menschen gemacht?
Ring: Viele Menschen haben Angst, dass KI irgendwann Ärzt*innen ersetzt – aber so einfach ist das nicht. Klar, KI kann riesige Datenmengen analysieren und Muster erkennen, die uns entgehen würden. Doch sie versteht keinen Menschen, keine Emotionen, keine individuellen Lebensgeschichten. Am Ende bleibt der Mensch unverzichtbar. Fachpersonen treffen Entscheidungen nicht nur basierend auf Zahlen, sondern auch auf Erfahrung, Ethik und dem Gespräch mit den Patient*innen. KI kann eine grossartige Unterstützung sein – aber nur, wenn wir sie richtig nutzen und sie als Werkzeug sehen, nicht als Ersatz für den Arzt oder die Ärztin.
Ich glaube aber, dass es wichtig ist, in der medizinischen Ausbildung ein besseres Verständnis für den Umgang mit solchen Tools zu entwickeln. Es geht nicht nur darum, dass Ärzt*innen die Technologie nutzen, sondern auch darum, zu verstehen, wann und wie man sie richtig einsetzt. Ich denke, das wird in Zukunft immer wichtiger werden, weil diese Technologien definitiv ein Teil der medizinischen Praxis werden.
Wie können Krebsbetroffene KI (ChatGPT etc.) nutzen und welche Chancen und Risiken bestehen dabei?
Ring: KI kann Patient*innen helfen, sich besser auf Arztgespräche vorzubereiten, indem sie grundlegende Informationen zur Krankheit bereitstellt und dabei hilft, Fachbegriffe zu verstehen. So können Betroffene besser nachvollziehen, was beim Arztbesuch besprochen wird und sich eventuell auch über Alternativen oder Studien informieren, was in der Onkologie besonders wichtig ist. Heutzutage werden gerade mal 5% der Patient*innen in Studien behandelt. Ich denke, wenn man sich als Patient*in besser damit auseinandersetzen kann, hat man vielleicht mehr Bereitschaft, an so einer Studie teilzunehmen.
Allerdings gibt es auch Risiken: KI kann falsche oder unklare Informationen liefern, sogenannte "Halluzinationen" erzeugen, die sich zwar flüssig und überzeugend anhören, aber inhaltlich ungenau sind. Daher müssen Antworten immer validiert werden. Es ist wichtig, dass Patient*innen immer sicherstellen, dass die Informationen, die sie erhalten, korrekt und vertrauenswürdig sind.
Datum: 23.04.2025