T-Zellen gegen das Multiple Myelom
Das Multiple Myelom (MM) ist ein chronisch wiederkehrendes Leiden. Es ist in vielen Fällen nicht heilbar. Doch die modernen Behandlungen sind heute bedeutend besser verträglich und erlauben teils viele Jahre von krankheitsfreien Perioden.
Prof. Passweg im Gespräch
Prof. Passweg, was ist ein Multiples Myelom (MM)?
Es handelt sich um ein Krebsleiden des blutbildenden Knochenmarkes, genauer, ein Blutkrebs der B-Lymphozyten, Zellen des lymphatischen Systems. B-Lymphozyten durchlaufen von der Stammzelle bis hin zur reifen B-Zelle, der Plasmazelle, mehrere Reifestadien. Die Plasmazelle produziert im Dienst der Immunabwehr Antikörper. Auf jeder Reifungsstufe kann die Zelle krebsig entarten. Dies führt zu unterschiedlichen Leukämie- und Lymphom-Arten. Entartet die Endform, dann liegt ein Plasmazellmyelom – auch Multiples Myelom genannt – vor.
Welche Symptome treten auf?
Die Zellen verdrängen wegen ihres Wachstums im Knochenmark die normal funktionierenden Blutzellen. Sie bilden mit zerstörerischer Kraft Löcher im Knochen und produzieren abnorme Eiweisse. Je nach Ausprägung der daraus resultierenden Folgen sind unterschiedliche Symptome möglich: Es kann eine Blutarmut mit Mangel an roten und weissen Blutzellen sowie Blutplättchen auftreten. Die Symptome sind Müdigkeit, rasche Erschöpfung sowie Infektionen und erhöhte Blutungsneigung. Die Löcher in den Knochen begünstigen spontane Frakturen sowie häufig Knochenschmerzen. Typisch sind länger dauernde Rückenschmerzen, welche auf die üblichen hausärztlichen Therapien nicht ansprechen. Zudem wird Kalzium aus dem Knochen freigesetzt, was den Kalziumgehalt im Blut erhöht (Hyperkalzämie). Daraus resultieren grosse Müdigkeit und ein Erschöpfungsgefühl. Bewegungsverlangsamungen sowie Wahnvorstellungen können ebenfalls auftreten. Die Produktion abnormer Eiweisse können den Körper überschwemmen und zu Durchblutungsstörungen führen. Teile dieser Eiweisse können die Nieren verstopfen. Dadurch können die Nieren versagen. Schliesslich können die abnormen Eiweisse sich zu sogenanntem Amyloid verklumpen. Sie lagern sich in verschiedenen Organen ab und stören damit die Arbeit dieser Organe.
Wie unterscheidet sich das Multiple Myelom von einer Leukämie?
Unreife B-Zellen führen bei einer krebsigen Entartung zu einer akuten lymphatischen Leukämie. Entartet die Zelle erst am Schluss des Reifungsprozesses als Plasmazelle, dann liegt ein Multiples Myelom vor. Es sind wohl verwandte Erkrankungen. Die akute Leukämie ist sozusagen die «Kinderkrankheit» im Reifeprozess der B-Zelle und das Multiple Myelom die «Alterskrankheit», weil sie die letzte Reifungsstufe der B-Zelle betrifft. Akute lymphatische Leukämien treten oft bei Kindern auf, Multiple Myelome nie. Diese zeigen sich erst ab etwa dem dreissigsten Lebensjahr.
Was sind Ursachen und Risikofaktoren?
Es gibt keine gut bekannten Risikofaktoren. Es gibt auch keine dafür besonders disponierten Personen. Die Erkrankung ist relativ selten mit schweizweit rund 300–400 Neuerkrankungen pro Jahr. Häufig gibt es Vorstufen bei 1 Prozent der 70-Jährigen und bis 3 Prozent der 80-Jährigen. Die Umwandlung zum Multiplen Myelom beträgt dann etwa 1 Prozent pro Jahr.
«Die Lebenserwartung von MM Patienten konnte in den letzten 15 Jahren verdoppelt werden.»
Ist das Multiple Myelom vererbbar?
Das Leiden ist nicht vererbbar, doch gibt es selten Familien, in denen es unerklärlicherweise gehäuft auftritt.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
In den Frühstadien sowie Vorstufen, wenn keine Symptome auftreten, ist keine Therapie erforderlich. Hier soll nur beobachtet werden. Kommt es zu typischen Symptomen, CRAB lautet das Stichwort, dann muss behandelt werden: C steht für Hyperkalzämie. R bedeutet eingeschränkte Nierentätigkeit. A steht für Anämie, das heisst Blutarmut. Auch bei B für «Bone Lesions» – Knochenschädigungen – muss behandelt werden.
Es gibt viele Behandlungsformen wie Chemotherapien, Knochenmarkstammzell-Transplantationen, Hemmer der Proteosomen, Imide, Antikörper sowie weitere Therapieformen.
Das Leiden ist nicht heilbar und kann chronisch immer wieder aufflammen. Allerdings lag die Lebenserwartung vor 15 Jahren nach der Erstdiagnose bei etwa 36–42 Monaten. Mittlerweile wurde diese Zeit quasi verdoppelt. Die moderneren Therapien haben das Leiden besser behandelbar gemacht. Mit der Stammzellentransplantation sind selten Heilungen möglich. Mit den modernen und bedeutend verträglicheren Therapien werden auch krankheitsfreie Perioden von mehreren Jahren beobachtet.
Wie sieht die Zukunft der Therapie aus?
Derzeit wird an Behandlungen mit körpereigenen Abwehrzellen, sogenannte T-Zellen geforscht, die gegen das Multiple Myelom umprogrammiert werden (CAR-T Zellen). Ein weiteres Feld sind «Bispezifische Antikörper», die Abwehrzellen in die Nähe der Myelomzellen bringen sollen. Andere Antikörper werden mit einem «Zellgift» beladen, das in das Multiple Myelom gebracht wird und es zum Abstreben bringen soll.
Infografik zum Multiplen Myelom
Infografik erklärt:
Das Multiple Myelom ist ein seltener Blutkrebs des blutbildenden Knochenmarkes, wobei die Endform der Plasmazelle entartet.
Diese Plasmazellen vermehren sich unkontrolliert und produzieren oftmals funktionsloses Protein. Die Zellen verdrängen wegen ihres Wachstums im Knochenmark die normal funktionierenden Blutzellen und zerstören auch den Knochen selbst.
Datum: 26.09.2022