Grosse Entwicklungsschritte bei der Myelofibrose
Jährlich erkrankt etwa einer von 100.000 Menschen in Europa an Myelofibrose (MF). Die Blutkrankheit beginnt oft schleichend mit unspezifischen Symptomen. Im Interview mit LmK erklärt die Hämatologin Sara C. Meyer, wie neue Medikamente die Lebensqualität vieler Patient*innen bereits heute und in Zukunft verbessern können.
Was ist eine Myelofibrose (MF) und was geschieht dabei im Körper?
Bei Patient*innen mit Myelofibrose kommt es zu einer unkontrollierten Blutbildung in einem entzündlichen Milieu. Diese geht mit einer zunehmenden Fibrosierung, das heisst einer Faserablagerung im Knochenmark einher. Dadurch wird die Blutbildung mehr und mehr aus dem Knochenmark verdrängt und findet zunehmend auch in der Milz und der Leber statt. Diese Organe vergrössern sich, was ebenfalls zu den Beschwerden von MF Patient*innen beiträgt.
Wodurch zeichnet sich eine fortgeschrittene MF aus und welche Auswirkungen hat diese auf die Lebensqualität der Patient*innen?
Aufgrund der fortschreitenden Fibrosierung (Faserablagerung) im Knochenmark kommt es zu einer zunehmenden Blutarmut, einer vergrösserten Milz und entzündlichen Allgemeinsymptomen. Diese beinhalten beispielsweise Müdigkeit und Gliederschmerzen und beeinträchtigen die Lebensqualität von MF Patient*innen. Durch die vergrösserte Milz kann es zu Bauchbeschwerden und raschem Sättigungsgefühl kommen. Die Blutarmut verstärkt die Müdigkeit und Abgeschlagenheit und kann zu einer Blutungsneigung und zu einer Infektanfälligkeit führen. Falls bei fortgeschrittener MF Bluttransfusionen nötig werden, sind MF Patient*innen auch durch den Transfusionsbedarf vermehrt an die Nähe eines Spitals gebunden, was sie in ihrer Lebensgestaltung zusätzlich einschränken kann.
Ist eine fortgeschrittene MF heilbar?
Die bisher einzige Behandlung für die MF mit heilendem Potential ist die Transplantation blutbildender Stammzellen (hämatopoietische Stammzelltransplantation). Dabei wird durch eine vorgängige Chemotherapie die erkrankte Blutbildung unterdrückt und anschliessend blutbildende Stammzellen transplantiert. Diese bauen im Knochenmark ein neues blutbildendes System ohne die genetischen Veränderungen der MF auf.
Durch die Entwicklung der letzten Jahre ist die Stammzelltransplantation zunehmend besser verträglich geworden, so dass diese Option mehr und mehr auch fragileren, zB älteren oder insgesamt kränkeren Patient*innen offen steht.
Für welche Patient*innen kommt eine Stammzelltransplantation in Frage?
Da die hämatopoietische Stammzelltransplantation eine intensive Therapie ist, die auch Risiken beinhaltet, wird sie bei fortgeschrittenen Formen der MF mit ungünstigerer Prognose angewandt. Durch die Entwicklung der letzten Jahre ist die Stammzelltransplantation zunehmend besser verträglich geworden, so dass diese Option mehr und mehr auch fragileren, zB älteren oder insgesamt kränkeren Patient*innen offen steht.
Der Verlauf einer MF ist individuell sehr unterschiedlich. Weshalb ist das so?
Das hat einerseits mit dem Zeitpunkt der Diagnose im Krankheitsverlauf der MF und andererseits mit genetischen Merkmalen der MF zu tun. Wird die MF früh im Krankheitsverlauf diagnostiziert, sind Fibrose und Blutarmut noch wenig ausgeprägt und die Lebensqualität weniger eingeschränkt. Besteht bei der Diagnose bereits eine deutlich ausgeprägte MF, ist sie auch deutlich symptomatischer und hat eine ungünstigere Prognose. Das Vorliegen bestimmter Genmutationen hat einen Einfluss auf die Agressivität der Myelofibrose und bestimmt dadurch ebenfalls den Verlauf und die Prognose.
Man weiss inzwischen, dass bei fast allen MF Erkrankungen eine charakteristische Genveränderung auf dem Chromosom 9 vorliegt, der sogenannten JAK2-Mutation* (JAK = Janus-Kinase). Welche Auswirkungen hat dieses Wissen auf die Behandlung?
Es wurden sogenannte JAK2 Inhibitoren entwickelt (zielgerichtete, kleinmolekulare Medikamente), welche die JAK2 Kinase hemmen. Die JAK2 Inhibitoren sind bisher für MF mit sogenannt intermediärem oder hohem Risiko zugelassen. Die Frage, ob es sinnvoll wäre JAK2 Inhibitoren früher im Krankheitsverlauf einzusetzen, ist eine Diskussion, die derzeit aktiv geführt wird.
Welche weiteren Behandlungsoptionen gibt es für Betroffene?
Neue JAK2 Inhibitoren sind zur Zeit in Entwicklung oder stehen kurz vor der Zulassung. Verschiedene Studien laufen zu Kombinationstherapien eines JAK2 Inhibitors mit zusätzlichen zielgerichteten Therapien wie Bcl-2/Bcl-xL Inhibitoren, BET Inhibitoren und anderen. Auf diese laufenden Studien wird grosse Hoffnung gesetzt, um zukünftig mehr Therapieoptionen anbieten zu können. Zusätzliche Behandlungsoptionen sind besonders wichtig, wenn eine anfänglich wirksame Behandlung mit einem JAK2 Inhibitor ihren Effekt nach einer gewissen Therapiedauer verliert und es zu einem Wirkverlust aufgrund einer Resistenzentwicklung kommt. Seit langem etablierte Optionen zur Behandlung einer fortgeschrittenen MF sind Bluttransfusionen sowohl von Erythrozyten- wie von Thrombozytenkonzentraten, die weiterhin Anwendung finden.
Die Behandlung mit JAK2-Inhibitoren kann zu Blutarmut führen. Wie beeinflusst diese Nebenwirkung die Lebensqualität der Betroffenen?
JAK2 Inhibitoren können eine Blutarmut verstärken, was Müdigkeit und / oder eine Blutungsneigung zur Folge haben kann. Durch die zusätzliche Gabe von Erythropoiese-stimulierenden Substanzen (ESA) kann einer verstärkten Blutarmut entgegengewirkt werden, so dass die Verträglichkeit der JAK2 Inhibitoren meist gut ist. Neuere JAK2 Inhibitoren, die aktuell kurz vor der Zulassung stehen, mildern die Blutarmut ebenfalls und könnten damit die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.
Ein Blick in die Zukunft: Wie werden sich die Therapien in den nächsten Jahren verändern?
Für die Behandlung der MF gab es über die letzten Jahren sehr grosse Entwicklungen. Da ist die Zulassung neuer JAK2 Inhibitoren, die auch in der zweiten Linie, das heisst nach Therapie mit einem ersten JAK2 Hemmer verabreicht werden können, und die je nach Substanz mit einer Verbesserung der Blutarmut einhergehen. Zusätzlich sind verschiedene Kombinationstherapien in klinischen Studien in Entwicklung, die hoffentlich die Wirksamkeit der MF Behandlung erhöhen werden. Auch die hämatopoietischen Stammzelltransplantation als kurativer Behandlungsansatz wird laufend weiterentwickelt und stellt für immer mehr Patienten eine Option dar. Deshalb blicke ich den nächsten Jahren für PatientInnen mit MF hoffnungsvoll entgegen.
Datum: 03.06.2024
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