Schilddrüsenkarzinom: In der Regel hohe Heilungsraten
Die meisten Schilddrüsenkarzinome haben eine sehr gute Zehnjahresprognose. Seltener auftretende aggressive Formen können heute mit den neuen Tyrosinkinasehemmern behandelt werden, wodurch sich die Prognose verbessert hat.
In vielen Fällen ist bei teilweiser oder vollständiger Entfernung der Schilddrüse eine Ersatzbehandlung mit Schilddrüsen-Hormonen erforderlich.
Welche verschiedenen Arten des Schilddrüsenkarzinoms gibt es?
Prof. Emanuel Christ: Beim Schilddrüsenkarzinom unterscheidet man zwischen differenzierten und undifferenzierten Karzinomen. Am häufigsten sind mit rund 80% die differenzierten Schilddrüsenkarzinome. Diese werden zusätzlich nach ihrer Erscheinungsform in papilläre und follikuläre Formen unterschieden. «Differenziert» bedeutet, dass diese Art von Krebs langsam wächst und nicht «explodiert». Dies heisst für Betroffene, dass man genügend Zeit hat für eine gründliche Abklärung und Therapieempfehlung. Die restlichen 20% sind die sogenannten dedifferenzierten und anaplastischen Karzinome sowie das medulläre Schilddrüsenkarzinom, sie kommen eher selten vor.
Wie sieht die Prognose dieser Formen aus?
Christ: Die Überlebensrate beim differenzierten Schilddrüsenkrebs liegt nach zehn Jahren bei 90 – 95%. Es ist damit eigentlich eine «gutartige» bösartige Krebserkrankung. Die dedifferenzierten und anaplastischen Karzinome haben eine schlechtere Prognose. Sie wachsen sehr aggressiv und können dadurch auch eher zu lokalen Problemen führen.
Welche Symptome zeigen sich beim Schilddrüsenkarzinom und wie hängen sie mit der Aggressivität zusammen?
Christ: Die aggressiven Formen manifestieren sich schnell als sichtbare Gewebeschwellungen und sie führen bald zu Symptomen wie beispielsweise Schluckbeschwerden und Änderung der Stimme. Dieses rasche Auftreten gilt als Alarmzeichen.
Die differenzierten Karzinome hingegen werden aufgrund ihres langsamen Wachstums meist zufällig im Rahmen von bildgebenden Untersuchungen (z.B. Ultraschall, CT, PET-CT, MRI) entdeckt.
Dr. Christof Rottenburger ...oder aufgrund eines am Hals befindlichen geschwollenen Lymphknotens. In der Regel finden sich jedoch bei ca. 60 – 80% der Patienten, welche wir zum Zeitpunkt der Diagnose eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms in unserer Sprechstunde sehen, keine Symptome.
Als Spezialfall wird das medulläre Schilddrüsenkarzinom angesehen. Es geht aus den sogenannten C-Zellen hervor, die in der Schilddrüse das am Knochenstoffwechsel beteiligte Hormon Kalzitonin produzieren. Es handelt sich um einen differenzierten, neuroendokrinen Tumor. Seine Aggressivität bewegt sich etwa in der Mitte der bereits erwähnten differenzierten und dedifferenzierten Tumore und hat eine bessere Prognose als die aggressiven Schilddrüsenkarzinome.
Die Experten: Prof. Emanuel Christ Endokrinologie, Unispital Basel & PD Dr. Christof Rottenburger Radiologie und Nuklearmedizin Unispital Basel
Was sind die Behandlungsmöglichkeiten beim Schilddrüsenkarzinom?
Christ: In erster Linie wird der Tumor chirurgisch behandelt. Früher wurde die Schilddrüse vollständig entfernt, heute wird schonender operiert und, wenn ausreichend, auch einmal nur die betroffene Seite der Schilddrüse entfernt.
Rottenburger: Während früher eher aggressiver behandelt wurde, wird heute viel differenzierter abgeklärt, welche therapeutischen Möglichkeiten eingesetzt werden sollen. Hier spielt wie bei allen Krebsformen das Tumorboard mit allen zuständigen Fachleuten eine wichtige Rolle. Bei halbseitiger Entfernung der Schilddrüse ist die Behandlung in der Regel abgeschlossen. Bei der Totalentfernung wird in Abhängigkeit vom Risiko die Radiojod-Therapie empfohlen. Sie ist nach der Chirurgie weiterhin die wichtigste Therapieform beim Schilddrüsenkarzinom.
Wie funktioniert die Radiojod-Therapie?
Rottenburger: Es wird radioaktives Jod-131 per Kapsel verabreicht. Dieses lagert sich im nach der Operation verbliebenen Schilddrüsengewebe und in Krebszellen ab, gibt kombiniert Beta- und Gammastrahlen ab und zerstört damit die Krebszellen. Diese sogenannte adjuvante Therapie hat unter anderem zum Ziel, restliches Schilddrüsengewebe zu zerstören. Das Jod-131 gibt Strahlung mit nur sehr geringer Reichweite ab und ermöglicht so eine zielgerichtete Bestrahlung. Gleichzeitig tritt Strahlung aus dem Körper aus, mit welcher Bilder erstellt werden können und das Vorliegen von Absiedlungen des Schilddrüsenkarzinoms geprüft werden kann. In der weiteren Tumornachsorge wird das vom Schilddrüsengewebe abgegebene sogenannte Thyreoglobulin gemessen. Kann es nicht mehr nachgewiesen werden, dann wissen wir, dass es keine Tumorzellen mehr gibt. Es kann auch vorkommen, dass die Metastasen eines Schilddrüsenkarzinoms kein Jod mehr aufnehmen und diese Art der Behandlung nicht mehr funktioniert. Aber auch in dieser Situation gibt es zunehmend andere Behandlungsmöglichkeiten wie z.B. die Behandlung mit Substanzen aus der Krebstherapie (Tyrosinkinasehemmer).
Wenn die Schilddrüse operativ entfernt werden muss, wie läuft im Anschluss die Schilddrüsenhormon- Ersatztherapie ab?
Christ: Bei einer halbseitige Entfernung der Schilddrüse ist eine Ersatztherapie unter Umständen noch nicht erforderlich, doch in den allermeisten Fällen wird das Schilddrüsenhormon L-Thyroxin als Tablette verschrieben. Die Dosierung richtet sich nach dem Rückfallrisiko und sollte ausreichend sein. Dies kann mit der Messung von TSH, einem Hormon der Hirnanhangsdrüse geschehen. Dessen Konzentration im Blut soll möglichst gering gehalten werden, um nicht unnötig das Wachstum von verbliebenen Schilddrüsenzellen zu stimulieren, da das TSH neben der Stimulation der Schilddrüsenhormonproduktion auch ein Wachstumsfaktor für die Schilddrüse ist.
«In den letzten Jahren konnte die Behandlung des Schilddrüsenkarzinoms immer schonender erfolgen.» Dr. Rottenburger
Wie wirken sich die Behandlungen auf die Lebensqualität der Patient*innen aus?
Rottenburger: Die adjuvante Radiojod-131 Behandlung führt in der absoluten Mehrheit zu keinen bleibenden Beschwerden. Mehr Probleme können bei der wiederholten Therapie mit höheren Dosen von Jod-131 zur Behandlung von Metastasen auftreten. So kann es beispielsweise zu einer sehr störenden Mundtrockenheit oder Geschmacksstörungen kommen. Das kann die Lebensqualität deutlich vermindern.
Christ: Auch die Ersatztherapie mit L-Thyroxin ist mehrheitlich komplikationsarm und gut verträglich.
Wie sieht die Zukunft der Therapie für diese Krebsart aus?
Christ: Wie überall in der Onkologie wird bei aggressiveren Formen nach Gewebemutationen gesucht. Damit wird es möglich, entsprechende Mutationen gezielt zu behandeln. Hierbei werden beispielsweise beim Fortschreiten des Karzinoms neue Tyrosinkinasehemmer eingesetzt. Sie hemmen einen für den Krebs wichtigen Stoffwechselschritt, der durch die Mutation entstanden ist.
Rottenburger: Es ist mittlerweile auch möglich, bestimmte Strukturen des Krebses mit weiteren radioaktiven Substanzen zu behandeln. Diese Therapieform befindet sich noch im Forschungsstadium. Schliesslich ist es in bestimmten Fällen nach einer Behandlung mit Tyrosinkinasehemmern möglich, erneut eine Radiojod-131 Behandlung einzusetzen. Die Tyrosinkinasehemmer heilen den Krebs nicht, aber stabilisieren ihn und müssen deshalb lebenslänglich eingenommen werden. Dies kann teilweise infolge Nebenwirkungen zu erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität führen. Doch auch hier führt die Forschung zu immer besseren Medikamenten, die immer weniger Nebenwirkungen verursachen. In den letzten Jahren konnte die Behandlung des Schilddrüsenkarzinoms immer schonender erfolgen und wir arbeiten weiterhin daran, die Behandlung mit noch weniger Einschränkungen – individuell auf die Bedürfnisse der Patient*innen gerichtet – durchführen zu können.
Datum: 05.11.2024