Schilddrüsenkrebs Erfahrungsbericht Patientin
Erfahrungsbericht

«Ich trage diese Krankheit immer mit» – Marlènes Leben nach der Diagnose Schild­drüsen­krebs

Als Marlène* im Herbst 2022 ihre anhaltende Heiserkeit bemerkt, denkt sie zunächst nicht an eine ernsthafte Erkrankung. Doch ihre Stimme bleibt rau und ein ungutes Gefühl lässt sie im Januar 2023 ihren Hausarzt auf suchen. Dieser meldet sie sogleich im Krankenhaus für einen Ultraschall an. Damit beginnt für Marlène der Untersuchungs-Marathon.

Die Diagnose Schilddrüsenkrebs ist für die damals 37-jährige Mutter von zwei kleinen Jungs ein Schockmoment. Die ersten Untersuchungen hinterlassen bei ihr viele offene Fragen: «Die Ärztin meinte, sie sehe etwas Auffälliges, könne mir aber nicht klar sagen, was. So musste ich mir selbst zusammenreimen, was das bedeuten könnte», erinnert sich Marlène. Die gelernte Pflegefachfrau wechselt auf eigenen Wunsch ins Inselspital Bern, wo die endgültige Diagnose erfolgt: papillärer Schilddrüsenkrebs. Die Entscheidung zur vollständigen Entfernung der Schilddrüse fällt schnell – elf Tage nach dem Gespräch mit dem Chirurgen wird Marlène operiert.

Nach der Entfernung der Schilddrüse beginnt für Marlène ein neuer Lebensabschnitt: Lebenslange Hormonersatztherapie, regelmässige Kontrolluntersuchungen und Ängste vor Metastasen belasten ihren Alltag. «Aktuell bin ich bewusst in einer Überdosierung von Schilddrüsenhormonen, damit die verbliebenen Krebszellen nicht wachsen können», beschreibt sie. «Was mir gefehlt hat, war die Information, was es heisst, ohne Schilddrüse – ein für den Stoffwechsel zentrales Organ – zu leben.» Bei zu hoher Dosierung der Schilddrüsenhormonpräparate leidet Marlène an Herzrasen und Unruhe, bei zu niedriger an Antriebslosigkeit, Zyklusstörungen und Müdigkeit. «Seit Diagnosestellung vor zwei Jahren konnte ich zweimal bei der gleichen Dosierung bleiben, alle anderen gut dutzende Male, wo ich zur Laborkontrolle musste, wurde darauffolgend die Dosis angepasst.»

Trotz der erfolgreichen Operation macht eine kleine Metastase in einem Lymphknoten eine weitere Behandlung notwendig: die Radiojodtherapie. Marlène erzählt von der besonderen Belastung der Vorbereitung auf die Therapie. Eine bereits mit Jod gesättigte Schilddrüse nimmt weniger Radio-Jod auf, wodurch die gezielte Wirkung auf krankhaftes Gewebe und die Effektivität der Therapie vermindert werden. Somit ist eine völlig jodarme Ernährung vor der Operation zwingend erforderlich – eine Herausforderung im stressigen Alltag. «Kein Jod zu sich zu nehmen bedeutet, dass man alles selbst kochen muss.», so Marlène, denn: «Fast alle Gerichte enthalten jodiertes Salz.»

Im November 2024 beginnt die Radiojodtherapie: Marlène erhält eine Kapsel mit radioaktivem Jod-131, das von verbliebenem Schilddrüsengewebe und Krebszellen aufgenommen wird und letztere zerstört. Vier Tage verbringt sie isoliert im Krankenhaus, während sich die Radioaktivität in ihrem Körper abbaut – eine körperliche und psychische Belastung. «Ich hatte mir bewusst einen Plan gemacht, um die Zeit in Isolation zu strukturieren: Bücher lesen, Yoga, meinen 40. Geburtstag planen.»

«Was mir gefehlt hat, war die Information, was es heisst, ohne Schilddrüse – ein für den Stoffwechsel zentrales Organ – zu leben.

Marlène

«Ich trage diese Erkrankung immer mit.»

Die Krankheit hat Marlènes Alltag verändert. Die schwankenden Hormone und die engmaschigen Kontrollen erfordern Kraft und Resilienz. «Mittlerweile habe ich eine sehr gute Lebensqualität, aber ich trage diese Erkrankung immer mit.»

Eine der grössten Hürden ist das mangelnde Zusammenspiel der medizinischen Fachbereiche: «Ich hatte das Gefühl, dass ich die Einzige bin, die den Gesamtüberblick behält», kritisiert Marlène. Wichtige Informationen erhält sie oft nur auf Nachfrage. Die Rolle von Patient*innen als aktive Mitgestalter*innen ihrer Behandlung ist ihr deshalb besonders wichtig: «Wer gute Betreuung will, muss selbst aktiv werden und sich für sich selbst einsetzen. Bereitet euch auf Arztgespräche vor, stellt Fragen, fordert Informationen ein.»

Marlène beschreibt sich selbst als eine «Macherin», die jedoch auch auf Unterstützung angewiesen ist. Besonders ihre Kinder bringen Normalität in ihren Alltag: «Für sie bin ich einfach Mama, nicht die Patientin mit Krebs.» Eine Beraterin der kantonalen Krebsliga und eine Psychologin helfen ihr, die emotionale Last zu verarbeiten. Besonders wertvoll sind für sie Gleichgesinnte: «Ich habe durch eine Selbsthilfegruppe auf Facebook eine Freundin mit Schilddrüsenkrebs gefunden, mit der ich mich regelmässig austausche.»

Heute blickt Marlène nicht nur auf Herausforderungen, sondern auch auf persönliche Entwicklungen. «Ich bin einerseits zwar nicht mehr so robust wie früher, andererseits habe ich aber gelernt, bewusster mit meiner Zeit umzugehen. Ich überlege mir genau, mit wem ich meine Energie teile und wo ich Prioritäten setze.» Marlène hat gelernt, dass es okay ist, sich auch mal zurück zu nehmen: «Krebs bedeutet nicht, immer stark sein zu müssen. » Die Krankheit hat sie dazu gezwungen, innezuhalten, sich selbst neu zu organisieren und ihre Prioritäten zu hinterfragen. «Ich habe ein Leben, das ich mitgestalten kann – und das tue ich bewusster als je zuvor.»

 

* Name geändert

Journalistin: Paula Wollenmann
Datum: 23.04.2025