Bewegung hilft gegen Nebenwirkungen der Krebstherapie
Für alle
Nebenwirkungen

Sport gegen Neben­wirkungen einer Krebs­therapie

Anastasios Manettas
Physiotherapeut und Fachverantwortlicher der Abteilung Physiotherapie Ergotherapie
wissenschaftlicher Leiter CMCS
Universitätsspital Zürich

Menschen mit Krebs tun gut daran, ihren Körper gezielt zu trainieren. Physiotherapeut Anastasios Manettas hat hierfür ein spezielles Bewegungsprogramm mit aufgebaut.

Herr Manettas, muss man sich mit einer Krebserkrankung schonen?

Anastasios Manettas: Nein, nur wenn nachvollziehbare Gründe vorliegen! Bewegung ist für den Körper zweifellos gut. Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass sich Bewegung positiv auf den Körper mit Krebs auswirkt.

 

Reicht Spazieren, Velofahren oder Schwimmen?

Manettas: Das sind gute Aktivitäten, sie wirken aber therapeutisch nicht gezielt. Mit strukturierter Bewegung, also einer Bewegungstherapie, lässt sich gezielt die Leistungsfähigkeit trainieren. Fitnessgeräte helfen, die Leistungsfähigkeit exakt zu messen und zu trainieren, etwa mit Fahrradtrainer, Kniestreckgerät oder Beinpresse. Die Intensität des Trainings kann man genau bestimmen, mit der Anzahl der Wiederholungen, der Übungsdauer oder Intensität der Gewichte.

Sport hilft bei Krebs

Was bewirkt die Bewegung im Körper?

Manettas: Krebsbehandlungen wie eine Operation, eine Chemo- oder Strahlentherapie belasten den Körper mit starken Nebenwirkungen. Gezielte Bewegung versetzt den Körper in den «Betriebsmodus» und schüttet Stoffe aus, die die Nebenwirkungen reduzieren. Neuere Studien zeigen jetzt sogar, dass Sport die medizinische Behandlung verstärken kann. Wer also an einem Bewegungsprogramm teilnimmt, hat demnach die Chance, längere Zeit ohne Rückfall zu leben.

 

Wie zeigt sich der Effekt bei typischen Nebenwirkungen?

Manettas: Mit weniger Muskelschwund, mehr Kraft, mehr Ausdauer sowie weniger Ängsten oder depressiven Verstimmungen. Hinzu kommen psychosoziale Effekte. Das heisst: Eine Mutter kann beispielsweise wieder ihr Baby oder die Einkaufstasche selbst tragen. Die Rückkehr an den Arbeitsplatz kann erleichtert werden, indem sich etwa kognitive Störungen wie Konzentrationsprobleme oder Wortfindungsstörungen vermindern.

«Das Training wird überwacht, um Intensität und korrekte Durchführung zu gewährleisten – ohne Verletzungen oder Muskelkater.»

Anastasios Manettas

Sie arbeiten an einem Projekt, das Menschen mit Krebs ein einheitliches Bewegungsprogramm zur Verfügung stellen soll. Worum geht es dabei?

Manettas: Es heisst Cancer Move Continuum Schweiz (CMCS). CMCS möchte gewährleisten, dass Menschen mit Krebs überall in der Schweiz Zugang zu wissenschaftsbasierten Bewegungsprogrammen haben. Bisher gab es nur in den grossen Zentren wie Zürich solche. Künftig sollen sie möglichst wohnortnah angeboten werden können. Für die Sicherstellung des Angebots sorgt ein Netzwerk von Spitälern und Praxen, das seit März 2025 im Aufbau ist. Das Programm ist individuell massgeschneidert.

 

Wie muss man sich die Umsetzung in die Praxis vorstellen?

Manettas: Wir haben eine Software entwickelt, mit der jede Physiotherapeutin jederzeit mit zwei, drei Klicks auf dem Handy eine individuelle Verschreibung abrufen kann. Über hundert solcher Verschreibungen stehen im Hintergrund zur Verfügung. Berücksichtigt ist neben der jeweiligen Diagnose, die physiotherapeutische Indikation und die Behandlungsphase, zum Beispiel vor oder nach der Operation, vor oder während der Bestrahlung usw. Und ebenso das aktuelle Befinden des Patienten.

Bewegung und Sport gegen Krebs

Wie sieht das Bewegungsprogramm konkret aus?

Manettas: Die Patientin kommt zu einer ersten Abklärung mit dem Therapeuten und füllt einen Fragebogen zu ihrer aktuellen Verfassung aus. Danach gibt es eine individuelle Verschreibung. Verwendet werden dieselben Geräte und Übungen wie im Fitnessstudio, jedoch in Spital oder Praxis. Das Training beginnt mit einem langsamen Aufbau und dauert zirka zwölf Wochen. Nach rund sechs Wochen spüren die meisten eine Verbesserung der Ausdauer und Kraft.

 

Warum muss während des Trainings ständig ein Fachperson dabei sein?

Manettas: Es ist keine Begleitung, sondern eine Supervision. Die volle Wirkung entfaltet das Training nur mit der richtigen «Dosis», der geforderten Intensität. Der Körper muss dabei an die Grenzen kommen. Darum wird das Training überwacht, um Intensität und korrekte Durchführung zu gewährleisten – ohne Verletzungen oder Muskelkater.

 

Können auch untrainierte Patienten daran teilnehmen?

Manettas: Ja. Vor Trainingsbeginn definiert die Physiotherapeutin zusammen mit dem Patienten die Intensität beim Trainingsstart. Die Patientin beginnt dort, wo es für sie stimmig ist, auch wenn jemand untrainiert ist. Kein Problem. Danach folgt eine Steigerung, bis die geforderte Intensität erreicht ist. Der Patient darf aber immer auf seinen Körper hören. Wer einen schlechten Tag hat, braucht nicht trainieren zu gehen. Es ist normal, dass Krebs patientinnen immer wieder einmal Therapien verpassen. Das gefährdet den Effekt nicht.

Mehr Informationen zum Projekt Cancer Move Continuum Schweiz gibt es hier.

Stefan Müller
Datum: 03.10.2025