Hirntumor Gliom Blioblastom
Hirntumor
Therapien

Bei Hirntumoren sind auch kleine Fortschritte wichtig

Der Experte für Hirntumore und Gliome erklärt die Behandlungsmöglichkeiten und gibt Hoffnung für Hirntumorbetroffene

Dr. med. Christian Musahl
Stv. Chefarzt / Leitender Arzt Neurochirurgie
Leiter Hirntumorzentrum
Kantonsspital Aarau

Ein Gliom WHO-Grad 4 ist ein besonders bösartiger Hirntumor, welcher nur schwer behandelbar ist. Verschiedene Therapiesäulen geben Hoffnung. Im Gespräch mit Dr. Musahl vom Kantonsspital Aarau erfahren wir, wie diese Therapien miteinander agieren.

Im Gespräch  mit  Dr. Musahl

Dr. med. Christian Musahl, worum handelt es sich beim Gliom WHO-Grad 4?

Dr. Musahl: Es handelt sich um eine der bösartigsten Formen der Hirntumoren. Der Tumor entwickelt sich aus den Gehirnzellen. Diese Krebsform stammt somit nicht von ausserhalb des Gehirns und bildet üblicherweise auch keine Ableger ausserhalb des Gehirns. Der Tumor wächst äusserst invasiv. Dies zeigt sich in der Ausbreitung: Während in der Bildgebung das Ausmass des Tumors scheinbar sichtbar wird, hat er sich schon im MRI unsichtbar weiter ausgebreitet. Dies hat Konsequenzen für die Therapie und die Überlebensprognose.

 

Das heisst?

Musahl: Die Rückfälle nach erfolgter Erstbehandlung gehen auf das Konto der unsichtbaren Ausbreitung des Tumors. Mit einem fluoreszierenden Stoff können Tumorherde ausserhalb des sichtbaren Tumorgebietes aufgespürt und möglichst entfernt werden. Dieses Vorgehen kann die Prognose nochmals deutlich verbessern. Trotzdem bleibt der Tumor unheilbar. Je früher dieses Gliom entdeckt wird und je radikaler es operiert werden kann, desto länger ist die Überlebenszeit.

Hirntumore sind schwer behandelbar aber es gibt Hoffnung

Die Erstbehandlung ist also die Operation. Welche weiteren Therapiesäulen mit ihren Vor-und Nachteilen sowie Chancen und Risiken gibt es beim neu diagnostiziertem Gliom WHO-Grad 4?

Musahl: Seit vielen Jahren gilt, dass sichtbares Tumorgewebe möglichst vollständig operativ entfernt wird. Wenn dies gelingt, sind die Chancen am besten. Daran schliesst sich rund drei Wochen nach der Operation eine kombinierte Radio- Chemotherapie an. Dies bedeutet eine ambulante Bestrahlung der nach der Tumorentfernung entstandenen Höhle sowie der daran anschliessenden Randbereiche des Gehirns. Parallel wird eine sehr gut verträgliche Chemotherapie mit Temozolomid-Tabletten begonnen. Nach dieser Kombinationsbehandlung wird in Zyklen von fünf Tagen mit drei Wochen Pause weiterhin für ein halbes Jahr Temozolomid verschrieben. Bis hierher sprechen wir von einer etablierten Standardtherapie.

 

Jeweils für alle erwachsenen Patient*innen?

Musahl: Wie bei allen Tumorbehandlungen spielt der Allgemeinzustand eine sehr wichtige Rolle. Operiert wird nur, wenn es der Zustand der Betroffenen erlaubt und wenn das Ergebnis nicht zu einer schweren Beeinträchtigung der Körperfunktionen führt. Einerseits muss im Verlauf der Operation zwar möglichst viel Tumorgewebe entfernt werden, hingegen werden Tumoranteile belassen, wenn andernfalls Ausfälle von Körperfunktionen (z.B. Sprache, Bewegung) drohen würden.

«Diese Behandlungsart kann die Zeit bis zum Rückfall um einige Monate verlängern. Gerade bei jüngeren Patient*innen kann das sehr wichtig und bedeutend sein, wenn es darum geht, noch wichtige Dinge in der Familie und im Leben zu regeln.»

Dr. Christian Musahl

Gibt es denn sonst keine alternativen Behandlungsmöglichkeiten, wie bei vielen anderen Tumorerkrankungen?

Musahl: Die Standardtherapie hat sich tatsächlich seit vielen Jahren nicht verändert. Es laufen jedoch ständig unterschiedlichste Studien mit vielen neuen Substanzen, doch leider zeichnet sich noch kein Durchbruch ab.

 

Also kein Lichtblick am Horizont?

Musahl: Seit einiger Zeit haben wir die Tumor Treating Fields (TTFields) Therapie, die in die Standardbehandlung aufgenommen wurde. Diese Behandlungsart kann die Zeit bis zum Rückfall bei konsequenter Anwendung um einige Monate verlängern.* Dies mag bei der bekannten durchschnittlichen Überlebenszeit von rund eineinhalb Jahren ein kleiner Fortschritt sein. Doch gerade bei jüngeren Patient*innen kann das sehr wichtig und bedeutend sein, wenn es darum geht, noch wichtige Dinge in der Familie und im Leben zu regeln.

 

Wie läuft eine TTFields Behandlung ab?

Musahl: Diese Therapie wird vier Wochen nach dem Abschluss der kombinierten Strahlen- und Chemotherapie gestartet. Hierbei werden sogenannte Arrays (Klebepatches) auf die kahle Kopfhaut geklebt. Das Layout der Arrays wird individuell berechnet und bestimmt, um einen möglichst wirksamen Behandlungseffekt zu ermöglichen. Dies geschieht mittels elektrischer Wechselfelder, welche durch eine tragbare Batterie erzeugt werden. Diese elektrischen Wechselfelder stören die Zellteilung im Tumor. Dadurch kann das Gliom nicht oder nur verzögert weiter wachsen.

 

  • *milde bis moderate Hautirritationen sind das häufigste gerätespezifische unerwünschte Ereignis.
Hoffnung für Krebsbetroffene mit Hirntumor

Sie hatten vorhin von einer konsequenten Anwendung von TTFields gesprochen.

Musahl: Genau. Untersuchungen haben gezeigt, dass ab durchschnittlich 18 Stunden Behandlungsdauer pro Tag die Wirkung am besten ist.

 

Dann sind somit auch Pausen vorgesehen?

Musahl: Richtig. Beispielsweise kann die Behandlung während drei Tagen ununterbrochen laufen. Am vierten Tag wird der Kopfhaut eine Pause gegönnt. Damit werden über die Zeit verteilt mindestens diese durchschnittlichen 18 Stunden pro Tag gewährleistet. 

 

Wie wird die Behandlung vertragen?

Musahl: Die Verträglichkeit ist ausser möglichen Reizungen der Kopfhaut sehr gut. Zudem haben die Fachleute mittlerweile viel Erfahrung darin, die Arrays und Kabel so zu verstecken, dass sie dem Umfeld kaum auffallen. Dafür nutzen sie zum Beispiel Perücken und Kopfbedeckungen.

Thomas Ferber
Datum: 15.04.2024