Krebs im Gesicht und Rekonstruktion
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Therapien

Gesichts­rekon­struktion: Viele Patien­ten sagen danach: «Das bin wieder ich!»

Experte für Krebs im Gesicht

PD Dr. med. Dr. med. dent. Lukas Benedikt Seifert
MME, Oberarzt Mund-, Kiefer-und Gesichtschirurgie
Unispital Basel

Krebs im Gesicht trifft nicht nur den Körper, sondern auch Identität und Selbstbild. Am Universitätsspital Basel arbeitet ein interdisziplinäres Team daran, Aussehen, Sprache und Funktionen so weit wie möglich wiederherzustellen.

In der Schweiz erkranken jährlich rund 1200 Menschen an Krebs im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich, was etwa 3% aller Krebserkrankungen ausmacht. Wie erleben Sie Patientinnen, die mit Tumoren im Gesicht konfrontiert sind?

Dr. Lukas B. Seifert: Patienten mit Tumoren im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich stehen vor einer enormen Herausforderung. Es geht dabei nicht nur um die körperliche Erkrankung, sondern auch um das Selbstbild und die Identität. Dieser Bereich ist für uns essenziell: Wir erkennen einander über das Gesicht, drücken Emotionen aus, zeigen Zugehörigkeit – und zugleich übernehmen Mund und Kiefer zentrale Funktionen wie Sprechen, Schlucken und Essen. Wenn hier plötzlich ein Tumor wächst, verändert das nicht nur das Erscheinungsbild, sondern beeinträchtigt oft auch diese grundlegenden Funktionen und erschüttert damit das innere Gleichgewicht.

 

Viele Betroffene sprechen von einem «doppelten Schlag»: der Krebsdiagnose einerseits und der Sorge um das eigene Aussehen und die Funktionen andererseits. Wie zeigt sich diese Belastung in Ihrer Arbeit

Seifert: Die Betroffenen erleben einerseits die Bedrohung durch den Krebs, andererseits die Sorge um ihr Aussehen, um ihr soziales Umfeld, um ihre Sprache und die Möglichkeit, normal zu kauen und zu essen. Als Behandelnde sind wir mit sehr viel Angst, Verunsicherung, aber auch mit beeindruckender Stärke konfrontiert. Manche Menschen entwickeln in dieser Situation eine enorme Resilienz.

 

Diese Resilienz zeigt sich vermutlich sehr unterschiedlich. Wie individuell gehen Patientinnen und Patienten mit den sichtbaren Veränderungen um?

Seifert: Manche Menschen können erstaunlich schnell akzeptieren, dass ihr Aussehen und ihre Funktionen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich anders sind, und entwickeln Strategien, damit umzugehen. Andere tun sich schwer, empfinden Scham oder ziehen sich aus ihrem sozialen Umfeld zurück.

Rekonstruktionen im Gesicht nach Tumorentfernung

Was hilft den Betroffenen dabei, besser zurechtzukommen?

Seifert: Entscheidend ist, ob wir es schaffen, die Patientinnen in ihrer gesamten Lebensrealität zu begleiten: nicht nur medizinisch, sondern auch psychologisch und sozial – und dies immer im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit.

 

Wie sieht eine solche Zusammenarbeit konkret aus?

Seifert: Am Universitätsspital Basel arbeiten wir eng mit unseren Partnerkliniken zusammen – insbesondere mit der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde unter dem stellvertretenden Chefarzt Jens Jakscha und dem leitenden Arzt Laurent Muller sowie mit der Plastischen Chirurgie mit PD Dr. Tarek Ismail als Leitendem Arzt. In der Mund-, Kiefer-und Gesichtschirurgie liegt unsere Kernkompetenz in der computergeplanten präzisen Resektion und Rekonstruktion, während jede Fachdisziplin ihre spezifische Expertise einbringt. Dieses Miteinander schafft ein Klima, in dem Patienten die bestmögliche Versorgung erhalten.

 

Und wie können Betroffene neben der medizinischen Behandlung unterstützt werden?

Seifert: Wichtig ist, dass Patientinnen lernen, dass sie nicht allein sind – viele durchlaufen ähnliche Prozesse. Gespräche mit Psychoonkologen, Selbsthilfegruppen oder auch mit vertrauten Angehörigen helfen ungemein. Oft wird unterschätzt, wie wichtig es ist, Hoffnung zu geben: dass wir ihr Aussehen und ihre Funktionen zwar nicht exakt so wiederherstellen können, wie sie einmal waren, dass wir aber ästhetisch und funktionell sehr weit kommen.

«Operationen im Gesicht gehören zu den komplexesten Eingriffen überhaupt.»

PD Dr. med. Seifert

Operationen im Gesichtsbereich gelten als besonders anspruchsvoll. Wo liegen die grössten Herausforderungen?

Seifert: Sie gehören zu den komplexesten Eingriffen überhaupt. Zunächst müssen wir den Tumor mit einem ausreichenden Sicherheitsabstand entfernen – das ist die Basis. Dabei gilt es, wichtige Strukturen wie Nerven, Gefässe und Muskeln zu berücksichtigen. Jede kleine Abweichung kann die Mimik oder das Empfinden im Gesicht beeinflussen. Die Herausforderung ist daher zweifach: einerseits die onkologische Sicherheit – also wirklich alles Tumorgewebe zu entfernen – und andererseits die Wiederherstellung von Form und Funktion.

 

Wie gut lässt sich das Gesicht nach einer Tumorentfernung rekonstruieren?

Seifert: Wir können heute erstaunlich viel erreichen. Durch mikrochirurgische Techniken lassen sich Gewebe von anderen Körperregionen transplantieren, etwa Haut, Muskeln, Nerven oder Knochen, die wir im Gesicht wieder anschliessen. Das erlaubt nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine funktionelle Rekonstruktion, etwa beim Sprechen, Kauen oder Schlucken.

 

Ein zentraler Aspekt ist die Wiederherstellung der Mimik. Wie gelingt das?

Seifert: Zum Beispiel durch dynamische Gesichtsnervenrekonstruktion. Dieser Bereich gehört zu den besonderen Spezialisierungen von PD Dr. Ismail. Auch die dentale Implantologie ist wichtig, damit Patienten nach Tumoroperationen wieder normal kauen und sprechen können. Natürlich erreichen wir nie die hundertprozentige ursprüngliche Situation. Aber wir kommen in vielen Fällen so weit, dass die Betroffenen wieder am sozialen Leben teilnehmen und sogar sagen: «Das bin wieder ich.» Entscheidend ist dabei die enge Abstimmung mit den Patienten selbst.

Krebs im Gesicht kann operiert werden

Welche Rolle spielen moderne Verfahren wie 3D-Operationsplanung und 3D-Druck?

Seifert: Eine immer grössere. Früher waren Rekonstruktionen oft «Freihandarbeit». Heute können wir dank digitaler Planung und 3D-Druck sehr viel präziser arbeiten. Wir erstellen virtuelle Modelle des Gesichts, planen Resektion und Rekonstruktion am Computer und drucken Schnittschablonen oder patientenspezifische Implantate direkt am Spital.

 

Welche Vorteile bringt das für Patientinnen?

Seifert: Die Eingriffe sind schneller, präziser und besser planbar. Knochen können millimetergenau ersetzt werden, so dass die Gesichtssymmetrie wiederhergestellt wird. Das gibt den Patienten auch psychologisch Sicherheit. Das Universitätsspital Basel nimmt hier eine Vorreiterrolle ein – wir sind die erste Klinik in Europa, die patientenspezifische Implantate direkt im eigenen Haus drucken kann.

 

Und darüber hinaus?

Seifert: Unsere Klinik unter Leitung von Prof. Dr. mult. Florian Thieringer betreibt gemeinsam mit anderen Instituten intensive Forschung, unter anderem zum sogenannten Tissue Engineering: Dabei werden körpereigene Zellen und Wachstumsfaktoren auf 3D-gedruckte Gerüste aufgebracht, sodass neues Gewebe gezüchtet werden kann. Ziel ist es, in Zukunft auch mit biologisch gewachsenem Ersatzgewebe noch natürlicher und schonender rekonstruieren zu können.

«Die Operation ist der Startpunkt, aber die eigentliche Heilung beginnt danach: mit viel Unterstützung, Empathie und Geduld.»

PD Dr. med. Seifert

Nach der Operation beginnt die Nachsorge. Was ist dabei besonders wichtig?

Seifert: Nachsorge ist genauso wichtig wie die Operation selbst. Einerseits müssen wir sicherstellen, dass der Tumor nicht zurückkehrt. Andererseits geht es darum, Patientinnen auf ihrem Weg zurück ins Leben zu begleiten. Dazu gehören Physiotherapie – um Muskelfunktion und Beweglichkeit wiederherzustellen – Logopädie für das Sprechen und Schlucken sowie ästhetische und funktionelle Nachkorrekturen, die manchmal in mehreren Etappen erfolgen. 

 

Welche Rolle spielt die psychosoziale Begleitung dabei?

Seifert: Eine zentrale. Die Patienten müssen lernen, mit dem veränderten Gesicht umzugehen und sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Manche brauchen Hilfe bei der Rückkehr ins Berufsleben, andere bei ganz alltäglichen Dingen wie Einkaufen oder zwischenmenschlichen Begegnungen. Ich sehe es so: Die Operation ist der Startpunkt, aber die eigentliche Heilung beginnt danach: mit viel Unterstützung, Empathie und Geduld.

Wie Lisa die Diagnose Zungenkrebs erlebt hat und wie es ihr heute geht, nachdem Dr. Seifert und das Team des USB ihn in einer grossen Operation entfernt haben, kannst du hier nachlesen.

Zu Lisas Geschichte
Anna Birkenmeier
Datum: 17.10.2025