
Dank Beratung nicht allein mit Krebs

Regula Schneider, Geschäftsführerin der Krebsliga Ostschweiz, arbeitet seit über 20 Jahren bei der Krebsliga. Zuerst in beratender Funktion, seit 2008 als Geschäftsführerin. Sie hat viele Krebsbetroffene begleitet und weiss, welche Sorgen und Nöte bei ihnen an oberster Stelle stehen.
Gut beraten
Frau Schneider, mit welchen Problemen sind Betroffene bei der Diagnose Krebs konfrontiert?
Schneider: Eine Krebsdiagnose kommt meistens unerwartet. Sie schockiert und verändert das Leben der Betroffenen, aber auch jenes der Angehörigen, die gleichermassen verunsichert sind. So unterschiedlich jeder Mensch auf eine lebensbedrohliche Krise reagiert, so vielfältig zeigen sich auch die Probleme der Betroffenen. Viele von ihnen erleben in der ersten Zeit nach der Diagnose ein Wechselbad der Gefühle zwischen Angst, Unsicherheit und Hoffnung. Unzählige offene Fragen kreisen im Kopf.
Eine Krebserkrankung hat aber nicht nur Auswirkungen auf den Körper und die Psyche, sondern auch auf den Beruf, das soziale Umfeld und die finanzielle Situation. Eine Krebserkrankung bedroht die ganze Existenz, wobei die potentiellen Folgen oder Probleme mit der individuellen Lebenssituation zusammenhängen.
«Für alle direkt oder indirekt Betroffenen stellt sich die gleiche Frage: Wie gehe ich mit dieser Krise um?»
Sind die Probleme und Sorgen der Betroffe nen die gleichen wie noch vor 20 Jahren?
Schneider: Vor 20 Jahren bedeutete eine Krebsdiagnose für viele Menschen oft ein «Todesurteil». Im Vordergrund stand die Angst, an der Krankheit zu sterben. Krebs hat dank der Früherkennung und dank des medizinischen Fortschritts in den letzten Jahren an Schrecken verloren. Die gute Nachricht: Heute werden mehr als die Hälfte der Krebsbetroffenen geheilt. Viele Menschen mit einer Krebserfahrung (Cancer Survivors) leiden jedoch noch Jahre nach der Erkrankung an den physischen und psychischen Folgen von Krebs und dessen Behandlung. Diese chronischen Gesundheitsbeeinträchtigungen umfassen zum Beispiel krebsbedingte Müdigkeit und Erschöpfung oder hormonelle Probleme, aber auch die Angst vor einem Rückfall. All diese Probleme haben direkte Auswirkungen auf die Lebensqualität und manchmal auch auf die materielle Situation der Betroffenen. Nicht zuletzt deswegen haben koordinierte und ganzheitliche Nachsorgeangebote für Krebsbetroffene an Bedeutung gewonnen.
Wie kann die Krebsliga Betroffenen bei ihren Problemen helfen?
Schneider: Es gibt kein Patentrezept. Entscheidend bei der Begleitung von Betroffenen ist immer, auf die individuelle Situation einzugehen. Das flächendeckende und kostenlose Grundangebot der kantonalen und regionalen Krebsligen um fasst die Beratung und Begleitung von Krebsbetroffenen in allen Phasen der Erkrankung und bezieht die Angehörigen mit ein. Die Krebsliga hilft nach sorgfältiger Abklärung der finanziellen Situation auch bedarfsorientiert bei krankheitsbedingten Mehrauslagen mit direkter finanzieller Unterstützung. Weiter bieten wir verschiedene Kurse, Seminare und Gruppenangebote zur Unterstützung im Umgang mit der Krankheit und zur Stärkung der eigenen Ressourcen an. Eine Beratung beanspruchen können Menschen mit einer Krebserfahrung in jedem Alter sowie Angehörige von Krebs betroffenen. Unter dem Begriff «Angehörige» verstehen wir nicht nur die Familie, sondern auch Freunde, Nachbarn, Arbeitskolleginnen und kollegen.

Können Sie beschreiben, wie eine Beratung bei der Krebsliga konkret abläuft?
Schneider: Meistens wenden sich die Ratsuchenden direkt an uns. Es kann aber auch vorkommen, dass der behandelnde Arzt oder der Sozialdienst eines Spitals eine Überweisung für eine Beratung vornimmt. Grundsätzlich werden die Beratungen vor Ort in den Beratungsstellen durchgeführt. Und zwar durch Fachpersonen mit einer abgeschlossenen Fachhochschule Ausbildung im Bereich Soziale Arbeit oder Pflege. Aufgrund der Corona Situation finden aktuell vermehrt telefonische oder virtuelle Beratungen statt. In einem Erstgespräch wird auf die individuelle Situation eingegangen. Dabei geht man immer vom Bedürfnis der ratsuchenden Person aus. Was bewegt und belastet sie am meisten? Manchmal ist es nur eine einzige nagende Frage, die sich innerhalb einer Beratungssequenz beantworten lässt. Oft zeigen sich im Verlauf eines Gesprächs aber auch zusätzliche Probleme, die eine tiefere Auseinandersetzung verlangen und deshalb in mehreren Beratungen gemeinsam und lösungsorientiert besprochen werden. Wichtig dabei ist die Hilfe zur Selbshilfe. Gezielte Informationen geben Sicherheit. Mit Wissensvermittlung und Befähigung zur Selbstbestimmung unterstützen wir die Ratsuchenden, Entscheidungen mit zutreffen und sich auf ihre eigenen Stärken zu konzentrieren. Das fördert ihre Lebensqualität.
«Jeder Mensch verfügt über Stärken. In einer Krise ist es wichtig, sich an diese Stärken zu erinnern, sie zu aktivieren und im Alltag einzusetzen.»
Gab es eine Begegnung in Ihren 21 Jahren bei der Krebsliga, die Sie besonders berührt hat?
Schneider: Während meinen ersten Arbeitsjahren bei der Krebsliga war ich selbst in der Beratung tätig. Ich erinnere mich an die Begleitung eines Ehepaars vor ca. 18 Jahren. Die damals ungefähr 70jährige Ehefrau war an Krebs erkrankt. An der letztjährigen Mitglieder versammlung kam ein Mann auf mich zu, stellte sich mir vor und sagte: «Frau Schneider, ich bin extra wegen Ihnen zur Versammlung gekommen! Ich habe nie vergessen, wie Sie meiner Frau und mir in dieser schwierigen Zeit geholfen haben. Dafür bin ich Ihnen heute noch dankbar.» Das hat mich sehr berührt.
Mit wenig – manchmal auch nur durch aktives Zuhören – kann man eine grosse Wirkung erreichen.
Die kantonalen und regionalen Krebsligen beraten und unterstützen vor Ort.
Oft hilft es, wenn Betroffene und Angehörige mit einer neutralen Fachperson über ihre Gefühle reden und die veränderten Sach-, Finanz- und Lebensfragen besprechen können. Die 18 kantonalen und regionalen Krebsligen bieten in der Schweiz ein flächendeckendes und kostenloses Grundangebot an Beratung und Begleitung von Krebsbetroffenen und ihrem Umfeld an. Zudem gibt es Kurse, Gruppenangebote und Seminare. Wegen der Coronakrise finden diese Angebote oft auch virtuell statt.
Finde die Krebsliga in deiner Nähe : www.krebsliga.ch/region
Datum: 26.09.2022