Lymphödeme bei Krebs und Krebstherapien
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Lymphödeme: «Eine frühe Behan­dlung ist entscheidend»

Lymphödeme sind eine häufige Folge von Krebstherapien – doch was passiert dabei eigentlich im Körper? Wie kann man vorbeugen und welche Behandlungen helfen? Wir haben mit Sarah Mihzintu, Breast Care Nurse am Unispital Basel und der Physiotherapeutin Corinne Siberlin darüber gesprochen.

Was genau ist ein Lymphödem und warum kann es nach einer Krebsbehandlung auftreten?

Corinne Siberlin: Ein Lymphödem entsteht, wenn die Lymphflüssigkeit nicht mehr ungehindert abfliessen kann. Dies passiert häufig nach einer Krebstherapie, insbesondere wenn Lymphknoten entfernt wurden.

Sarah Mihzintu: Brustkrebs-Patientinnen sind vor allem dann oft betroffen, wenn im Zuge der Behandlung die kompletten Lymphknoten der Achsel entnommen werden. Aber auch andere Krebstherapien können das Lymphsystem beeinträchtigen. So kann etwa eine Strahlentherapie das Gewebe schädigen und Narbenbildungen können den natürlichen Fluss der Lymphflüssigkeit blockieren. Zusätzlich können bestimmte Medikamente, wie Kortison oder Chemotherapie, Wassereinlagerungen fördern und das Risiko für ein Lymphödem erhöhen.

 

Woran merken Betroffene, dass sich ein Lymphödem entwickelt?

Siberlin: Ein Lymphödem macht sich meist schleichend bemerkbar. Viele Betroffene bemerken zunächst, dass Schmuck oder Kleider plötzlich enger sitzen; die Haut im betroffenen Bereich kann sich gespannt anfühlen, manchmal tritt auch ein leichtes Kribbeln oder Druckgefühl auf. Grundsätzlich handelt es sich um eine Schwellung einer Extremität, wie etwa eines Arms.

Mihzintu: Diese ersten Anzeichen sollte man unbedingt ernst nehmen und frühzeitig den/die Ärzt*in bzw. Onkolog*in aufsuchen. Je früher erkannt, desto besser lässt sich ein Lymphödem behandeln.

Expertinnen für Lymphödeme

Stichwort Behandlung: Welche Möglichkeiten gibt es?

Siberlin: Eine der wichtigsten Behandlungsmethoden ist die manuelle Lymphdrainage. Diese spezielle Massagetechnik hilft dabei, die angestaute Flüssigkeit zu bewegen und den Abfluss zu fördern. Zusätzlich wird häufig eine Kompressionstherapie eingesetzt. Hierbei tragen die Betroffenen spezielle Bandagen oder Kompressionsstrümpfe, die verhindern, dass sich neue Flüssigkeit im Gewebe ansammelt. Auch Bewegung spielt eine zentrale Rolle in der Therapie.

Mihzintu: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Hautpflege. Da die Haut durch das Lymphödem empfindlicher wird, können kleine Verletzungen entstehen. Diese wiederum können sich infizieren; daher ist es wichtig, Wunden sorgfältig zu versorgen. In schweren Fällen kann auch eine operative Behandlung infrage kommen. Eine Möglichkeit ist die Lymphtransplantation, bei der gesunde Lymphgefässe aus anderen Körperregionen verpflanzt werden. Diese Eingrieffe werden bislang jedoch eher selten durchgeführt.

 

Und wenn man das Lymphödem nicht behandelt – was passiert dann?

Siberlin: Ein Lymphödem entwickelt sich in mehreren Stadien. Anfangs kann es sein, dass die Schwellung über Nacht wieder zurückgeht, weil sich die Flüssigkeit im Liegen besser verteilt. Ohne Behandlung nimmt die Schwellung jedoch im Laufe der Zeit zu und bleibt bestehen. Denn: Ein Lymphödem verschwindet nicht von selbst, sondern verschlimmert sich unbehandelt.

«Lange Phasen des Sitzens oder Stehens sollten vermieden werden, da sie den Lymphfluss verlangsamen können.»

Sarah Mihzintu

Wie viele Krebspatient*innen sind davon betroffen? Gibt es Risikofaktoren?

Mihzintu: Nicht jede Person, die sich einer Krebstherapie unterzieht, entwickelt automatisch ein Lymphödem. Schätzungen zufolge tritt diese Erkrankung jedoch bei etwa 20 bis 30 Prozent der Patient*innen auf, bei denen Lymphknoten entfernt wurden. Besonders gefährdet sind Personen, bei denen alle Lymphknoten in der Achsel oder der Leiste entnommen wurden.

Siberlin: Zusätzlich gibt es individuelle Risikofaktoren. Menschen, die sich nur wenig bewegen, haben ein höheres Risiko, dass sich die Lymphflüssigkeit staut. Auch genetische Faktoren können eine Rolle spielen.

 

Welche Sportarten sind hilfreich – und welche sollte man vermeiden?

Siberlin: Besonders geeignet sind sanfte Sportarten wie Schwimmen, Radfahren oder Walken, da sie die Muskelpumpe aktivieren und den Lymphfluss unterstützen. Auch Dehnübungen können helfen, die Beweglichkeit zu erhalten und Schwellungen zu reduzieren.

Mihzintu: Lange Phasen des Sitzens oder Stehens sollten hingegen vermieden werden, da sie den Lymphfluss verlangsamen können. Auch Sportarten mit starken Stossbewegungen oder schwerem Gewichtheben können problematisch sein. Entscheidend ist es, auf die Signale des eigenen Körpers zu achten: Wenn sich eine Bewegung unangenehm anfühlt oder die Schwellung verstärkt, sollte sie angepasst oder pausiert werden.

Lymphödeme bei Krebs und bei der Behandlung von Krebs

Welche Rolle spielt die Ernährung?

Mihzintu: Obwohl Ernährung ein Lymphödem nicht heilen kann, kann sie dennoch unterstützend wirken. Eine eiweissreiche Ernährung hilft dem Körper, Flüssigkeit besser zu regulieren. Gleichzeitig sollte auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden. Ein häufiger Irrglaube ist, dass weniger Trinken Wassereinlagerungen reduziert – tatsächlich kann eine zu geringe Flüssigkeitsaufnahme das Problem sogar verschlimmern.

Siberlin: Ein hoher Salzkonsum kann hingegen Wassereinlagerungen begünstigen. Daher kann es hilfreich sein, salzreiche Lebensmittel zu reduzieren und stattdessen auf eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, gesunden Fetten und hochwertigen Eiweissquellen zu setzen.

 

Kann ein Lymphödem wieder ganz verschwinden?

Mihzintu: Einmal entstanden, bleibt ein Lymphödem meist chronisch bestehen. Durch konsequente Behandlung lässt sich jedoch verhindern, dass die Schwellung weiter zunimmt. Wer regelmässig Lymphdrainage, Kompressionstherapie und Bewegung in den Alltag integriert, kann die Symptome gut kontrollieren und die Lebensqualität verbessern.

 

Was können Betroffene selbst tun, um Beschwerden zu lindern oder einem Lymphödem vorzubeugen?

Siberlin: Regelmässige Bewegung und gezieltes Training helfen, die Symptome zu kontrollieren. Auch das Hochlagern der betroffenen Körperpartien kann dazu beitragen, den Lymphfluss zu unterstützen.

Mihzintu: Viele Kliniken beginnen bereits wenige Tage nach einer Operation mit Lymphdrainage, um einem Lymphödem vorzubeugen. Je früher man aktiv wird, desto besser sind die Chancen, das Lymphödem langfristig unter Kontrolle zu halten.

Journalistin: Anna Birkenmeier
Datum: 30.04.2025