Massgeschneiderte Therapie gegen Krebs
«Die personalisierte Medizin – Fachleute sprechen auch von ‹Precision Oncology› – hat die Therapie von Krebserkrankungen revolutioniert und in vielen Fällen die Überlebens- und Heilungschancen verbessert,» sagt Prof. Lukas Bubendorf vom Universitätsspital Basel.
Der Pathologe erklärt, wie die detaillierte Gewebe- und Zellanalyse von Krebs zu besseren, massgeschneiderten Heilungschancen führt.
Prof. Bubendorf im Gespräch
Prof. Bubendorf, was bedeutet personalisierte Medizin?
Es handelt sich um eine massgeschneiderte Therapie, bei der für Patientinnen und Patienten individuell die optimale Behandlung bestimmt wird. Genau wie bei einem Massanzug wird hier eine Therapie «passgenau geschneidert», sodass sie exakt zur Krankheit passt. Dies ist deshalb wichtig, weil die Krebserkrankungen für die Betroffenen sehr unterschiedlich sind, selbst wenn sie das gleiche Organ betreffen. Würde bei allen Patienten die gleiche Behandlung angewendet, dann würden die einen ansprechen, viele andere aber nicht oder gar Nachteile erleiden.
Wie wird dabei vorgegangen?
Am Anfang der Therapie steht immer die Diagnose mit einer Untersuchung des Tumorgewebes. Das ist die Aufgabe der Pathologie. Sie untersucht die krankheitsspezifischen Gewebe- und Zellveränderungen bis hin zu den daran beteiligten Genen. Die Pathologie setzt also alles daran, den Krebs mit den richtigen Zusatzuntersuchungen so zu charakterisieren, dass anschliessend aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse und Biomarker eine massgeschneiderte, personalisierte Therapie entworfen werden kann...
...gibt es denn auch unvollständige Untersuchungen?
Es kann sein, dass nicht daran gedacht wird, nach solchen behandlungsentscheidenden Biomarker zu suchen. Aufgrund der sehr schnellen und dynamischen wissenschaftlichen Fortschritte in diesem molekularen Bereich der Zellen kann es schwierig sein, mit der Entwicklung neuer Biomarker und Behandlungsmöglichkeiten Schritt zu halten. So ist vielleicht heute veraltet, was vor ein paar Monaten noch Standard war. Es ist wichtig, dass die Patienten Vertrauen zum Arzt haben oder ihn auch darauf ansprechen, ob diese Untersuchungen am Tumorgewebe durchgeführt werden. Diese sind sehr komplex. Es werden Gene im Tumor untersucht, deren Bedeutung und Konsequenzen für die Therapie wichtig sind. Die Pathologie liefert dazu die erforderlichen Untersuchungsbefunde.
Das würde bedeuten, dass eine Diagnose und Behandlung bevorzugt an einem spezialisierten Zentrum erfolgen soll, oder dort wo eine Praxis daran angeschlossen ist?
Das ist ganz klar der Fall. Dort haben die Patientinnen und Patienten die Garantie, dass alles Nötige zur Diagnose und Behandlung veranlasst wird. In diesen Zentren gibt es fachübergreifende, sogenannte multidisziplinäre Tumorboards. Das sind Gremien, zusammengesetzt aus allen benötigten Fachleuten, um die Fälle umfassend zu besprechen. In besonders schwierigen Situationen diskutieren zusätzlich Fachleute mit, die sich auf die molekulare Struktur des Krebses spezialisiert haben.
Warum untersucht man gerade die Gene eines Tumors?
Es sind bei den meisten Tumoren die Gene, d.h. genetische Veränderungen, die sie antreiben. Dies geschieht teilweise durch vererbte oder aber auch durch äussere Einflüsse, wie beispielsweise das Rauchen. Die genetischen Veränderungen machen meist über viele Schritte aus der normalen Zelle schliesslich eine Tumorzelle und sorgen auch dafür, dass sich der Krebs ausbreiten kann. Fast alles hängt bei einem Tumor an den Genen. Heute haben wir aufgrund der technischen Fortschritte die Möglichkeit, ein umfassendes Profil der Genveränderungen in einem Tumor zu erstellen.
«Die personalisierte Medizin erlaubt eine präzisere Behandlung mit einer hohen Erfolgschance.»
Was ist denn im Einzelfall die Rolle dieser Gene?
Das menschliche Erbgut enthält insgesamt etwa 20000 Gene. Je nach Krebsform wird es dann überschaubarer. So gibt es beispielsweise beim Brustkrebs oder auch beim Lungenkrebs Gene, die bei Überaktivierung das Tumorwachstum fördern. Mit bestimmten, sogenannten zielgerichteten Medikamenten, können diese Gene gehemmt und das Tumorwachstum massgeschneidert gebremst oder gar gestoppt werden. Durch Untersuchung von Aktivierungsmustern verschiedener Gene kann auch abgeklärt werden, ob eine Chemotherapie bei bestimmten Patientinnen mit Brustkrebs erforderlich oder vermeidbar ist.
Welche Vorteile bringt die personalisierte Medizin?
Sie erlaubt eine präzisere Behandlung mit einer hohen Erfolgschance. Dies gilt nicht für alle Patientinnen und Patienten. Doch für einen erheblichen Teil führt es zu einer deutlichen Lebensverlängerung und einer besseren Lebensqualität.
Wann wird die personalisierte Medizin angewendet und bei welchen Patienten?
Diese Behandlung wird heute bei den meisten fortgeschrittenen Krebserkrankungen eingesetzt. Die Chemotherapie behält ihren Platz, doch sie wird gezielter eingesetzt. Sie wird zudem mit massgeschneiderten Therapien kombiniert, wenn das nötig ist. Die meisten fortgeschrittenen Krebserkrankungen lassen sich mittels personalisierter Medizin nicht vollständig heilen. Sie können sich aber in eine chronische, behandelbare Erkrankung verwandeln, die den Patienten erlauben, über Jahre recht gut damit zu leben und von weiteren Fortschritten in der Medizin zu profitieren. Dies bedingt allerdings auch oft Wechsel in der Therapie, weil sich das genetische Muster und Verhalten des Tumors unter der Behandlung ändern kann. Dann muss wieder reagiert und die Behandlung angepasst werden.
Datum: 26.09.2022
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