Pflegende Angehörige bei Krebs
Für alle
Erfahrungsbericht

Pflegende Angehörige: Zwischen Unter­stützung und Selbst­fürsorge

Pflegende Angehörige bei Krebs Expertin Annett Noack

Annett Noack
Psychoonkologische Beraterin, Breast and Cancer Care Nurse
Zuger Kantonsspital

Pflegende Angehörige spielen eine zentrale Rolle im Leben von Krebspatient*innen mit einer fortschreitenden Erkrankung. Wie ihre Unterstützung aussehen kann und welche Hilfsangebote es gibt, erklärt uns Annett Noack, psychoonkologische Beraterin SGPO am Zuger Kantonsspital.

Frau Noack, die Pflege von Krebsbetroffenen kann je nach Fortschreiten der Erkrankung sehr verschieden aussehen. Welches sind die Aufgaben, die pflegende Angehörige oftmals übernehmen?

Annett Noack: Die Aufgaben sind sehr vielfältig und hängen stark von der jeweiligen Situation ab. Es beginnt oft mit organisatorischen Tätigkeiten wie Arztbesuchen und der Unterstützung im Alltag. Danach konzentrieren sich die Aufgaben mehr auf das Menschliche. Insbesondere bei palliativer Therapie rücken auch emotionale und psychosoziale Aspekte in den Vordergrund, wenn es um die Organisation der letzten Lebensabschnitte geht.

 

Wann beginnt die Pflege – schon beim Essenkochen, im Haushalt helfen, bei der Körperpflege, oder noch früher?

Noack: Meiner Meinung nach schon ab der Diagnosestellung. Es gibt verschiedene Abschnitte – von der Diagnose über die Therapie bis hin zur Genesung oder einem möglichen Rückfall –, die jeweils andere Anforderungen an die Angehörigen stellen. Die Erfahrungen sind sehr unterschiedlich: Einige Patient*innen haben mit starken Nebenwirkungen zu kämpfen, während andere die Therapie vergleichsweise gut vertragen.

 

Was sind die grössten Herausforderungen für pflegende Angehörige?

Noack: Die Diagnose ist ein Schock. Betroffene und ihre Angehörigen müssen sich neu sortieren und sich mit der Frage auseinandersetzen: Was bedeutet das für uns? Sie müssen zusammen in der neuen Situation ankommen und sie dann Schritt für Schritt angehen. Die Herausforderungen sind sehr individuell – von finanziellen Schwierigkeiten, z.B. weil man nicht mehr arbeiten kann bis hin zur emotionalen Belastung. Auch psychosozial stellt die Situation für die betreuenden Angehörigen eine hohe Belastung dar, zum Beispiel, wenn die Kinderbetreuung organisiert oder der Fahrdienst für die Therapien geregelt werden muss.

 

Wie können pflegende Angehörige mit diesen Herausforderungen umgehen?

Noack: Viele Angehörige möchten keine zusätzliche Last für den Betroffenen sein. Sie selbst haben vielleicht das Bedürfnis, über die Situation zu sprechen, der Betroffene aber nicht. Hier ist es ist hilfreich, klar zu kommunizieren und allenfalls gemeinsame Zeitfenster zu schaffen, in welchen über die Erkrankung gesprochen werden kann. Ich rate auch, gelegentlich aus der belastenden Situation herauszukommen, um den Kopf freizubekommen, etwa indem man spazieren geht, sich eine kurze Auszeit für sich selbst nimmt.

Pflegende Angehörige bei Krebs

«Es ist wichtig, möglichst von Beginn weg Hilfe in Anspruch zu nehmen. » Annett Noack

Welche Unterstützungssysteme stehen pflegenden Angehörigen zur Verfügung?

Noack: Es ist wichtig, möglichst von Beginn weg Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich verweise hier gerne an die Krebsliga, die verschiedene Angebote, von der sozial rechtlichen Unterstützung über Selbsthilfegruppen bis zu Kursen für Betroffene und Angehörige anbietet. Ich rate auch, offizielle Unterstützungsangebote wie die Familienhilfe oder Pro Senectute zu nutzen. Eine psychoonkologische Beratung ist ratsam, um emotionale Stabilität zu bewahren. Sie hilft dabei, Belastungen zu identifizieren und die richtige Unterstützung zu finden.

 

Wie finden pflegende Angehörige eine Balance zwischen der Pflege und ihrem eigenen Leben, insbesondere bei langfristiger Betreuung?

Noack: Angehörige sollten sich nicht allein auf die Pflege konzentrieren, sondern auch auf die eigenen Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Sie müssen kein schlechtes Gewissen haben, Zeit für sich selbst zu nehmen. Der achtsame Umgang mit sich selbst sollte nicht in den Hintergrund rücken. Ich rate, bewusst nach Kraftquellen zu suchen und sich regelmässig Auszeiten zu gönnen. Selbst kleine Aktivitäten wie ein Treffen mit Freunden oder ein Kinobesuch – wenn es sich organisieren lässt – können helfen, Kraft zu schöpfen. Auch Sport, der Austausch in Selbsthilfegruppen sowie Gespräche mit Personen aus der Bekanntschaft, die ähnliches erlebt haben, können wertvolle Ressourcen sein, um Belastungen abzubauen. Wem was gut tut, das ist sehr individuell.

 

Wie können Freunde und Familie effektiv eingebunden werden, um zusätzliche Unterstützung zu bieten?

Noack: Eine direkte Kommunikation hilft, das Umfeld gezielt zu mobilisieren. Eine meiner Patient*innen erstellte zum Beispiel ein Wunschheft mit Aufgaben, die sie bei Bedarf an Freunde und Verwandte delegieren konnte. Darin standen Dinge wie Wäsche waschen oder Einkäufe erledigen. Dadurch, dass die Patientin dies selbst steuern konnte, erleichterte sie es ihrem Umfeld, sie aktiv zu unterstützen, ohne sich aufzudrängen. Es ist für alle Beteiligten wichtig, Hilfe von Anfang an zu organisieren. Es geht darum, den Betroffenen in seinem Krankheitsprozess zu begleiten.

 

Welche weiteren Tipps haben Sie für pflegende Angehörige?

Noack: Meiner Meinung nach ist es entscheidend, den Weg miteinander zu beschreiten, im gleichen Boot zu sitzen. Zeigen, dass man da ist und unterstützt. Informierte Angehörige sind genauso wichtig wie informierte Patient*innen. Ich empfehle auch, nicht weit vorauszuplanen, sondern sich jeweils auf die aktuelle Situation zu konzentrieren. Sich Sorgen im Voraus zu machen, bringt wenig. Eine psychoonkologische Beratung kann eine wertvolle Unterstützung bieten – sowohl für Patient*innen als auch für Angehörige, um sich in einem geschützten Rahmen auszutauschen und mit Belastungen offen umzugehen.

Journalistin: Catherina Bernaschina
Datum: 01.10.2024